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Idealismus, Güte, Intelligenz Von Egon Friedell I dealismus ist Wille, und zwar Wille in der gebieterischsten Form. Allerdings haben viele die merkwürdige Ansicht, der Idealist sei ein Träumer. Der „Gedanken held“ weiß nichts vom Leben und ist in allen Fragen des Tages ein hilfloses Kind, eine Beute der „praktischen“ Naturen. Diese Idee gehört in die Gruppe jener vollen deten Unwahrheiten, die so lange in gedankenlosen Köpfen kursiert haben, bis man sie für wahr genommen hat. Sie dürfte durch zweierlei entstanden sein: erstens durch die verlogenen Lebensbeschreibungen, verlogenen Wandbilder, verlogenen Gedichte, die das Leben des Philisters umgeben, und zweitens durch die Eitelkeit eben desselben Philisters, der doch wenigstens etwas vor den „Geistern der Nation“ voraushaben möchte und daher eine saubere und genaue Teilung vorgenommen hat: im Reich des Geistes bist du der Herr; im Praktischen, im wirklichen Leben bin ich dir über. Nicht ohne einen verächtlichen kleinen Seitenblick, der ungefähr soviel besagen will wie: deine Dichterei ist ja ganz hübsch, aber was nützt sie dir? Auf diese Art hat man sich daran gewöhnt, im Dichter eine Art Idioten besserer Kategorie zu sehen, der eigentlich eine sehr jämmerliche und lächerliche Figur wäre, wenn er nicht zufällig ein paar Bücher geschrieben hätte, die der Hundertste liest und der Tausendste versteht. Zu alledem kann man nur sagen: wenn ein Idealist ein Geschöpf ist, das blind und stumpf durchs Leben geht, dann müßten nicht die Dichter, sondern die dümmsten und ordinärsten Menschen die größten Idealisten sein; und wenn Idealismus den Mangel an Umsicht und praktischer Weltklugheit in sich schließt, dann waren weder Goethe noch Schiller und überhaupt die wenigsten bedeutenden Menschen Idealisten. Wenn jemand in seinen häuslichen und ökonomischen Verhältnissen ungeordnet ist, so ist das unter allen Umständen ein persönlicher Defekt, vielleicht ein ver zeihlicher, aber keinesfalls etwa deshalb verzeihlich, weil dieser Jemand ein Dichter ist. Wenn es auch allerdings selten vorgekommen ist, daß Dichter und Denker sich große Vermögen erwarben oder sehr hohe Staatsstellungen bekleideten, so muß man doch hierbei sehr wohl zwischen Nichtwollen und Nichtkönnen unter scheiden, und man darf daraus noch lange nicht folgern, daß es sich hier um Fähig keiten handelt, die einander ausschließen. Es ist überhaupt mit allen diesen Fäche rungen etwas sehr Mißliches: sie nehmen sich auf dem Papier sehr gut aus und dienen dem allgemeinen menschlichen Generalisationstrieb, der sehr oft nichts weiter ist, als Denkfaulheit; aber die Wirklichkeit geht meistens andre Wege. Thaies inszenierte einmal mit Erfolg eine Art Öltrust: er tat dies nicht aus Gewinnsucht, sondern um zu beweisen, daß der Philosoph sehr gut die kauf männischen Dinge beherrschen könne, während das Umgekehrte nicht der Fall sei. Als eine Bank, bei der Schopenhauer hohe Depots hatte, fallierte, war Schopen hauer der einzige, der durch ein höchst geschicktes Mannöver seine ganze Ein lage rettete. Kant, der von Bettlern abstammte und sein Leben lang von seinen Büchern und Kollegien ein Bettelhonorar bezog, brachte es dennoch durch kluge Transaktionen zuwege, daß er bei seinem Tode ein ansehnliches Vermögen hinter lassen konnte. Bacon, Hume, Locke, Leibniz hatten verantwortungsvolle Staats posten inne. Thoreau hatte eine Bleistiftfabrik. Shakespeare war Bodenspekulant. Tizian war Holzhändler. 380