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Oltomar Starke Menschentum konnte ich auch bei Mr. Ford an dem Tanzabend, zu dem er mich eingeladen hatte, mit besonderer Deutlichkeit von neuem feststellen. Anstatt in seinem eigenen Hause die überall in der Welt gleich üblichen und gleich öden Gesellschaften zu geben, lädt er seine Freunde, Beamten und Ange stellten, wie auch die Detroiter Gesellschaft, wöchentlich oder alle zwei Wochen zu „einer altertümlichen Tanzstunde“ (lesson of oldfashioned dances) ein. Man fand sich um 8 y 2 Uhr in demselben Saal ein, wo auch die Kinder ihre Tanzstunden haben. Die Gesellschaft war sehr zahlreich und außerordentlich zusammengewürfelt, von einer Zusammensetzung, wie man sie im alten Europa für völlig unmöglich halten würde. Mr. und Mrs. Ford standen in der Nähe des Eingangs und begrüßten die Gäste auf das wärmste. Als sich alles versammelt hatte, eröffnete das Ehepaar Ford den Abend, indem es zuerst, den Klängen der Blauen Donau folgend, durch den Saal tanzte. Allmählich fanden sich mehr und mehr Paare zusammen, und schließlich walzte und wiegte sich die ganze Gesellschaft in lustigem Dreivierteltakt. Dann kam die erste Quadrille, wobei der alte Herr wieder zuerst mit seiner Frau tanzte. Hierauf kamen in bunter Folge all die anderen originellen Tänze, die mir der Tanzmeister mit rührender Geduld in dreitägiger Arbeit beizubringen versucht hatte. An diesem Abend verstärkte sich der Eindruck, den ich wenige Tage zuvor von Herrn Ford erhalten hatte. Er war von allen der lustigste, liebenswürdigste und natürlichste. Er suchte sich immer die reizendsten Partnerinnen aus, meistens Telefonfräulein, Stenotypistinnen oder Krankenschwestern seines Hospitals, und forderte junge Leute auf, mit seiner Frau zu tanzen, die sich als Liftboys, Büro- jungens oder Chauffeure entpuppten. An jenem Abend ging mir der wahre Sinn des Wortes „democratic“ auf, welches die Amerikaner so gern gebrauchen. Die Zeit verging wie im Fluge, man amüsierte sich köstlich und war bei bester Stimmung. Der Abend wurde durch eine Polonaise, an der alles teilnahm, unter der Führung von Mr. und Mrs. Ford beschlossen. Bevor ich mich verabschiedete, fragte ich Mr. Ford, wann ich denn seine Fabrik sehen dürfe, denn am nächsten Tage wollte ich Detroit verlassen und hatte überhaupt noch nichts davon gesehen. Mr. Ford lachte wieder mit verschmitztem Augenzwinkern und sagte: „Wenn Sie diese Fabrik unbedingt sehen wollen, so haben Sie ja morgen früh immer noch Zeit dafür, aber so furchtbar wichtig ist das ja schließlich nicht.“ Damit nahm ich von Henry Ford Abschied, und ich sah ihn erst nach fast zwei Jahren wieder. Die Fabrik wurde mir übrigens noch in einem einstündigen Rundgang gezeigt. Damals ahnte ich noch nicht, daß ich den „nicht so furchtbar wichtigen“ Besuch der Fabrik einige Jahre später durch einen achtzehn Monate langen, täglich acht Stunden dauernden Besuch ergänzen würde.