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Der Hellseher scheint seinen un wirschen Tag zu haben. „Nein", sagt er, „sie weiß ja, daß es noch acht Wochen dauert. Ich kann ihr nichts davon ab- lassen. Jeder muß die Prüfungen so tragen, wie sie ihm auferlegt werden.“ Er stülpt seinen kleinen Hut auf und zieht sein kleines Mäntelchen an. Ich eile ihm nach: „Wollen wir nicht ein Pilsner zusammen trinken ?“ Er sieht mich aus kalten Augen an: „Sie sehen doch, daß ich nur etwas kalten Tee trinke und den Alkohol meide." Ich blicke dem Gott des Grunewalds fest ins Auge und sage: „Wir werden jetzt ein Pilsner trinken und noch einen Steinhäger dazu." „Gut“, sagt er und hängt sich in meinen Arm. Beim Bier wird er ganz aufgekratzt und erzählt mir, daß er Westfale sei. „Spökenkieker?“ frage ich. Da wird er zornig und beschimpft mich, daß ich ein Journalist sei. Ich muß ihn ablenken und frage: „Was wird denn mit der Krise?“ Er kippt den Steinhäger hinter, schlägt mit der flachen Hand auf den Tisch und ruft: „Die Krise ist noch lange nicht zu Ende. Ich will es noch nicht. Damals, als ich an die Regierung geschrieben habe, daß eine Krise kommt, damals haben sie mich ausgelacht. Jetzt denke ich nicht daran, die Krise schon zu beenden. Wenn ich das Gefühl habe, daß die Menschheit genug durchgemacht hat, dann werde ich schon rechtzeitig ein Zeichen geben." „Womit nähren Sie sich eigentlich ?“ „Ich handle mit Auto-Öl“, sagt er. „Wie gehen denn die Geschäfte ?“ „Schlecht“, sagt er, „ich kann es mir nicht erlauben, Sie zu einem Pilsner einzuladen." Walther Kiaulehn Teleplasma oder Rose — was ist das größere Wunder? Die meisten glauben erst an geheime Kräfte, wenn einem eingeschläferten Menschen vor ihnen ein milchweißer Nebel aus der Nase hängt. Um zu erkennen, daß eine blühende Rose viel wunderbarer ist, dazu fehlt ihnen die Phantasie. Die erste hypnotische Sitzung. Der englische Arzt James Braid, nach dem jahrelang — bis er selbst den Namen Hypnotismus vorschlug — dieser „künstliche Schlaf" Braidismus genannt wurde, hatte am 13. November 1841 eine „mesmeristische" Seance mit an gesehen, deren Erscheinungen er für Täuschung hielt. Bei einer zweiten fällt ihm auf, daß die „Patienten“ die Augen nicht öffnen können. Nun beginnt er selbst zu experimentieren. In seinem Zimmer läßt er einen jungen Mann die „Mündung einer Weinflasche" über seinen Augen fixieren. Nach drei Minuten senken sich die Lider, aus denen Tränen dringen, der Kopf neigt sich, und das „Medium“ verfällt unter Stöhnen in tiefen Schlaf, worauf Braid den Ver such erschreckt in der vierten Minute abbricht. Nun muß Frau Braid die Ver zierung einer Porzellanschale starr an- blicken. Nach zwei Minuten „verzerrter Gesichtsausdruck“, nach zweieinhalb Minuten krampfhafter Lidschluß, Ver zerrung des Mundes, tiefer Seufzer. Worauf Braid sie aufweckt. Puls 180. Nun holt er den Hausdiener, der noch nie etwas von Mesmerismus gehört hatte, und bittet ihn, bei einem chemi schen Experiment zu assistieren. Er solle die Flaschenmündung scharf an- sehen. Zweieinhalb Minuten später schläft der Bursche tief und fest. Er wird von Braid aufgeweckt, gescholten, daß er eingeschlafen sei, und weg geschickt. Ein paar Minuten später holt man ihn wieder, läßt ihn wieder die Flasche ansehen, und wieder schläft er in zweieinhalb Minuten ein. Nun ist der Beweis erbracht. Braid weiß, daß die beobachteten Erscheinungen „nicht von dem Willen oder dem Streichen des Operateurs", wie Mesmer behauptete, abhängen, sondern,,alles vom physischen und psychischen Zustand des Patien ten“. Diese Ansicht des Entdeckers konnte sich erst in den letzten Jahren durchsetzen. E. Wenn ich eine Zigarette mit dem Stummel der soeben gerauchten anzünde, bin ich immer einen Augenblick lang erschrocken, denn mir ist, als habe sich ein anderer Herr von mir Feuer geben lassen. Ramön 900