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In einer Gesellschaft mit jungen, hübschen Damen konstatiert er am Schluß erfreut, daß keine der anwesenden Venusse ins Leere gehe, nichts sei schlimmer, als ein eros vacuus, über diesen führe er eine Statistik. „Ich bitte Sie, meine Damen und Herren“, sagt er, „mir alle Megären Ihrer Bekanntschaft zu nennen.“ Im Gegensatz zu den anderen Astrologen glaubt er, daß das jedem zustehende Stern schicksal nur bedingt eintrifft, denn der menschliche Wille sei frei und falle mit in die Waagschale. Der Hellseher Er kann sich selbst, außerhalb seiner Kunststellen, gewissermaßen Zusehen, glaubt, daß, während er in Funktion ist, Abnormales in ihm vorgehe und bietet sich gern Ärzten und Psychologen zur Untersuchung an. Äußerst ausdrucks volles Mienenspiel, die Mundpartie ist oft verwischt, und die Unterlippe hängt. Er kann sich aber jederzeit wieder zusammennehmen, fast wie im militärischen Drill. Das kommt ihm bei seinen großen Vorführungen zugute, wenn er mit Vorliebe die Frauen einfach überrumpelt. „Sie hatten im vorigen Jahr eine unglückliche Liebe, er denkt aber noch an Sie“, so fängt er gewöhnlich an. Die Mädchen werden eingeschüchtert und stimmen seinen weiteren Enthüllungen, ohne sie zu prüfen, mit einem hauchenden „Ja“ zu. Er reißt seine Vorführungen nur so herunter, und die Nieten übergeht er im selben Tempo. Seine Hellseherleistungen sind geschäftlich sehr gut aufgezogen, und bei ganz wichtigen Sachen verlangt er bis zu 500 Mark; dieser Preis wird, bevor er in Trance verfällt, von seinem Sekretär schriftlich fixiert. Zückt man einen Bankscheck, so wird die Trance auf das nächste Mal vertagt; dann erfolgt sie prompt. Er nimmt eine schwarze Binde vor die Augen und einen alten Rosenkranz m die Hand und läßt die Kugeln, die er auszählt, langsam durch die Finger gleiten. Bei der neunten kriegt er schon den Ruck. Zuerst spricht er leise, dann schreit er immer lauter, und die Halsadern schwellen. Eine Dame neben ihm fällt in epileptische Krämpfe unter den Stuhl, das stört ihn aber nicht, er sieht ja hell mit seiner schwarzen Binde, und er schreit weiter. Der Trancemaler Berühmt wurde er durch einen Händedruck von Conan Doyle, der vor seinem Tode noch ein Bild von ihm kaufte. In England und Amerika sind seine Aus stellungen überfüllt. Er war früher Kunsthändler, unbeschwert von Sachkenntnis in seinem Metier; seinen Erfolg schreibt er selbst dem unsichtbaren Geist zu, der ihn schon damals’geführt habe. Ein bißchen versuchte er sich auch in der Technik der Malerei, und die vielen Stile und Epochen, die er verkaufte, genügten, um in seinem labilen Geist Eindrücke zu hinterlassen, die er dann später in Trance automatisch von sich gab. . Er schließt die Augen und malt mit dem Handballen, während der Geist seine Zirbeldrüse befingert. Auf seinen Befehl erscheinen türkische Minaretts, Tempel der Maya, altchristliche Basiliken, assyrische Turmbauten oder Renaissance- 872