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Hand, während ein andermal noch eine Schar anderer Geister bei ihr Besuch ab stattet. „Ein verrücktes altes Weib“, lächelt man. Schön. Und als ich bei freundlich brennendem Licht in ihrem gemütlichen Zimmer saß, sie plauderte, ihre Töchter häkelten, ein Bankbeamter, der sie oft besucht, und ein Tierarzt leisteten uns Gesellschaft, da stieß eine unsichtbare Hand dutzende Male gegen mein Knie, legte sich wie mit vier breiten Fingern auf meinen Oberschenkel, zupfte an den Hosen, beantwortete nicht unintelligent durch Zupfen und Drücken meine Fragen . . . Es klopft „im“ Tisch. Die „rationalistischen Erklärer“ wissen, daß Bauchredner solche Geräusche erzeugen können, daß man mit den Zehen im Schuh schnalzen kann, daß . . . Ich weiß das auch. Aber das Geräusch des „Klopfens“ ist nicht so, daß man es etwa nachahmen kann, indem man mit irgendeinem Gegenstand gegen das Holz schlägt. Solche Täuschungen sind möglich im Finstern, wenn der normale Mensch sich durch das Ausfallen eines seiner Sinne gehemmt und unsicher fühlt. Nicht aber etwa bei einer Silbert, wo es an einer Stelle im Tisch oder an der Wand klopft, so daß man aufstehen kann, hingehen, das Ohr an die Stelle legen und dann empfindet, wie das „Klopfen“ des Nell aus der Mitte der Platte herauskommt. Aus der Mitte des Holzes! Schwindel? Vielleicht. Natürlich. Ich ließ aber nicht nur Frau Sübert, sondern alle anderen Anwesenden zugleich reden, damit niemand etwa bauchreden könne, ich legte mein Ohr auf meinen eigenen Stuhl, und aus der Stuhllehne heraus klang das Klopfen des unbekannten Wesens. Und nicht einmal, nicht zweimal, sondern oft und oft. Fast wie in einem Experiment. Von anderen Erscheinungen will ich nicht berichten. Nicht von Händen, die sichtbar werden, von Metallplatten, auf die ich Botschaften eingeritzt erhielt, am wenigsten von Dingen, die andere mir berichteten. Jeder, der okkultem Erfahren nahekommen will, kann selbst Material sammeln und es selbst beurteilen. Aber — kommt es denn auf das „Material“ an ? Wer, wie der Inder, nicht an die Wirklichkeit, an das Da-Sein des Ich oder eines Hauses oder der materiellen Welt überhaupt glaubt, wer wie der Buddhist alles als „Täuschung“ ansieht — wie soll sich ein Mensch dafür interessieren, ob ein okkultes Phänomen „echt“ oder „wirklich“ ist? Wir Europäer nehmen aber unser Da-Sein verflucht ernst und zweifeln an keiner Wirklichkeit, nicht einmal an der Golddeckung von bunten Papierzetteln mit Reichsbankdruck. Und deshalb geschieht uns auch, daß für uns der Okkultismus ewig irreal bleiben muß. Denn in dem Augenblick, wo durch ein unsagbar gehäuftes Material ein okkultes Phänomen einwandfrei wird . . . (wobei das Wort „einwand frei“ natürlich philosophische Verbrämung ist für „populär“) . . . hört es auf, okkult zu sein!!! So kommt der Europäer zu einer immer anders werdenden Grenze des „Okkulten“. Okkult ist, was er noch nicht erklären kann — und was er lieber nicht als möglich annimmt, solange es ihn in seinem Weltbild eklig stören würde. Hypnose, Hellsehen, Schauen in die Vergangenheit, Psychographologie . . . paßt denn etwa das alles in unser Weltbild? All das, was „man“ heute nicht mehr als okkult auf den Index des Rationalismus setzt? Natürlich nicht. Aber es wird vom modernen Menschen verdrängt. Er nimmt zur Kenntnis, daß ein Mensch durch Befehl die Menstruation eines anderen ändern, dessen Verdauung regeln kann — aber vergißt dann, daß er diese „Zauberei“ — wie er ein solches Befehlen genannt hätte, ehe Richet seine Ent deckung des Hypnotismus im harten Kampf gegen die wissenschaftliche Welt durchgesetzt hat — nicht in seine materialistische Vorstellungen einreihen kann. Er ignoriert es, denn es würde furchtbar unbequem sein, wenn er darüber nach dächte. Ebenso ist verständlich, warum so viele Gelehrte — Virchow, Helmholtz, 848