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Querschnitt durch ein okkultes Zeitalter Von Dr. med. Wolfgang von Weisl |jj . SEÖtr glauben leine ©efpenfter meljr? SSer [agt ba§? ober Dielmetjr: toa§ Reifst ba§? Ipeijjt e» fo Diel: wir [inb etiblidj mit unferen ©nficfjteii fo weit ge» tommcn, bafs mir bie Uiimüglict)feit baDon ermeifen tonnen ? Sal tann eS bocfj ; tricfjt Ijeißcn 11 Seffing: §amburgif(f)e Dramaturgie. S eit dem großen Lärm, der um Therese von Konnersreuth entstand, und an dessen Erzeugung ich selbst nicht ganz unschuldig war, ist es im Blätterwald nicht mehr ruhig geworden. „Schau dich gut um! Die Mystik geht rum“, flüstern sich die Vertrauten zu und stürzen sich auf okkulte Themen mit demselben blinden Eifer, mit dem sie ein Jahrzehnt früher alles Okkulte höhnisch abgelehnt hätten. Anno 1910 war Monismus modern, die Wissenschaft der Halbgebildeten. Heute ist der Okkul tismus jeder Art — Anthroposophie, Theosophie, Spiritismus, Parapsychologie, Astrologie und was da drum und dran hängt — an die Stelle des Monismus gerückt, : 4 .i! es ist die Wissenschaft der Halbgebildeten und der Kirchenglauben-Ersatz der ! i Ungebildeten. " | Ein atheistischer Sozialdemokrat, Advokat und Parteibeamter und was nicht noch, sieht die Heilige von Konnersreuth bluten, und in seinem von keinen religiösen Kenntnissen beschwerten Herzen angerührt — wird er katholisch; ein protestan tischer Philosophiae Doctor und abgebrühter Chefredakteur geht jenem auf dem Wege zum Taufbecken mit gutem Beispiel voran, während andererseits ein katholi scher Priester, Monseigneur Vachere, am 22. April 1914 namentlich exkommuniziert wird, weil ... an ihm noch größere Wunder geschehen sind als an der Konners- reutherin. In seiner Kapelle blutete Jahre hindurch das große Christusbild, in seiner Gegenwart bluteten von 1911 bis 1920 auch andere Bilder des Gekreuzigten, selbst Öldrucke . . . Zahllose Zeugen bezeugten, mehr noch: chemische Untersuchungen aller Art bestätigten es; mehr noch: das Bild blutete auch in Abwesenheit des Priesters; mehr noch: es sprach zum Abbe, der Priester erhielt Offenbarungen, am 17. Oktober 1911 wurde ihm prophezeit: „Die Völker werden zum Handgemenge kommen, die Geißeln des Krieges und alle ihn begleitenden Übel werden Europa heimsuchen“: mehr noch: auch die Revolutionen verkündet der französische Abbe schon 1911, wird deshalb vor dem Weltkrieg in den Bann getan; „Die Throne der Könige, die mich nicht mehr kennen, werden umgestürzt werden, das Blut wird in Strömen fließen“; mehr noch: die Priesterverfolgungen in Mexiko und Rußland, die keine Phantasie vorhersehen konnte, verkündet VachereAnno 1911: „Der Priester, vielerorts ein Gegenstand des Hasses, wird hingeschlachtet . . .“ Und dasselbe Wunder, das in Konnersreuth erbaut — beunruhigt, wenn es in Poitiers geschieht. In Konnersreuth sind nämlich die Offenbarungen der Neumann, ihrer Natur entsprechend, kindlich fromm. Sie leidet, um den „Priestern zu helfen, Seelen zu retten“ — während der alte Abbe Vachere seine Offenbarungen vom Erlöser „über die Unwürdigkeit und Schlechtigkeit der katholischen Priester be kommt“, derentwegen die Bilder blutige Tränen weinen . . . Aber — ob nun die Kirche billigt oder verdammt — in beiden Fällen geschehen Dinge, die am einfachsten als „Wunder“ bezeichnet werden. Wunder — Wunder im 846