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Forain MARGINALIEN Der satirische Forain Forain ist achtzigjährig gestorben. Den Freund Rimbauds nahm Degas, der berühmte Grobian, unter seine Fittiche, als er noch ein kleiner Schmie rer war, gab ihm Ratschläge, hetzte ihn auf die Kunst der Satire. Und Forain wurde, wenn nicht ein Daumier, so doch der Gavarni des Panama- Skandals, der Henri Monier der Affäre Dreyfus und Cham des großen Krieges. Seine politischen Ansichten tangierten sein Werk nicht. Unter den Zeichnern unserer Zeit gibt es keinen, der ihm gleichkommt, denn ihnen fehlt seine Intensität der Beobachtung, die aus den Zeichnungen Sittenschilderungen macht, deren Studium eine Fundgrube der Kulturhistoriker aller Zeiten sein wird. Elendsgesichter, verlassene Mütter, deren Augen um Hunger und Not wissen, haben seinen Erfolg gegründet. Magere Geschöpfe mit eingesunkenen Brüsten, spitzen Ellbogen, Gesichtern, aus denen die Sorge spricht. Im ,bistrot‘. Mutter sagt zur kleinen Tochter: „Sieh dir den dicken Blonden an, der neben der Frau im roten Kleid sitzt! Das ist dein Vater.“ Nachtlokal. Neben einem wohl genährten Spießer hockt ein blaßes Mädel, verschlingt heißhungrig das Essen. „Man könnte glauben, sie sou piert . . . Sie frühstückt.“ Er und sie im Stundenhotel. „Wir hätten die Schuhe anbehalten sollen, ich habe meinen Schuhanzieher ver gessen . . ." Zwei Soldaten im Schützengraben unterhalten sich über die Kriegsaus sichten. Der eine: „Wenn sie nur durch halten . . . die Zivilisten.“ Ueber die Art, seine Zeichnungen zu textieren, sagte er zu Leon Daudet: „Erst mache ich die Zeichnung, dann höre ich ihr zu.“ Fünfzig Jahre hat Frankreich seine Arbeiten geliebt, aber fast ebensolange den scharfen Witz des Freidenkers, früheren Kommunarden, Reaktionärs und alten Katholiken gefürchtet, dessen Bosheit vor niemand und nichts halt machte, nicht einmal vor. . . Poin- 630