Der Musikspießer Von . H. H. Stuckenschmidt G efragt, was den Musiker von den Künstlern andrer Fakultäten so evident (und nicht eben vorteilhaft) unterscheidet, würde ich antworten: seine besondere Art, sich und sein Metier wichtig zu nehmen, die bewußt kultivierte Enge seines geistigen Horizonts. Nichts macht dem Unvoreingenommenen jeden intellek tuellen Verkehr mit Musikern schwerer als dieser Mangel an Superiorite, als dieser eingefleischte Glaube, im Reich des organisierten Geräuschs gäbe es nur Würde, Vollbärtigkeit und Heilige Güter zu verteidigen. Man versuche, sich in musikalischem Kreise mit Humor oder gar mit Ironie über Fachdinge zu unter halten, und man wird das anschauliche Phänomen erleben, wie sich Menschen gesichter in Amtsmienen verwandeln. Diese Metamorphose, die ich mit Konse quenz und Vergnügen herauszufordern pflege, hat immer wieder etwas Ver blüffendes und ist in ihrer Promptheit ein wichtiger Hinweis für berufspsycholo gische Studien. Jedesmal, wenn ich mit einem dieser Olympier zu tun habe, überkommt mich eine Gänsehaut und das sichereGefühl: der gehört zu den bessern Menschen. Sollte er das Geheimnis der letzten Dinge kennen ? Ist er ein Schulkamerad des lieben Gottes ? Hat er am Ende ein Mittel gegen den Tod? Soviel heiliges Pathos im Gesicht, soviel Sicherheit im Ausdruck — das muß eine Art Erz engel sein! Unmöglich daß dieser Mann wie un sereins ißt, trinkt, Unter hosen trägt,sich mit seiner Frau zankt, Schecks un terschreibt und Kriminal romane liest. Und sicher glauben die Leute genau das von sich. Sie halten sich wirklich für die besseren Menschen. Sie verheimlichen sich stän dig, daß sie aus derselben Substanz hergestellt sind Eduard Braun (Holzschnitt) 619