Walter Herzberg * Der Meister der Petomanie Aus den Erinnerungen eines fahrenden Künstlers Von Willy Wolf Rudino ff E s war im Mai 1891. — Nun waren endlich die großen akademischen Ferien nahe! Ich bereitete mich vor, diese drei Monate gut auszunutzen und mög< liehst so viel Geld in dieser Zeit zu verdienen, um wenigstens während der ersten drei Monate meiner Studien in Paris sorglos zu leben. Von dem Geld, welches ich in den beiden Lokalen in München als NegroJIxcentrique „Jacques Williams'' verdient hatte, besaß ich noch dreißig Mark. Das war allerdings kein Betriebs* kapital, um eine „Kunst'hTournee zu unternehmen. Wedekind, dem ich von meinen Plänen Mitteilung gemacht hatte, wollte mitkommen. Einmal gedachte er, mit der Laute begleitet (es war nur eine ganz ordinäre Gitarre), seine unheimlich grandiosen DirnemBalladen zu singen und im zweiten Teil zwei seiner Prosastücke oder Dramenfragmente vorzulesen. Nun wäre es mir gewiß angenehm gewesen, einen so eigenartigen und feingeistigen Kameraden mitzunehmen, aber ich konnte mich nicht dazu entschließen. Ich brauchte vollkommene Aktionsfreiheit. Wenn Wedekind mitgekommen wäre, hätte ich seinetwegen für fortlaufende Engage* ments sorgen müssen. Das wäre mir eine Last gewesen. Ich wollte wohl an den schönen bayerischen Bergseen, in Tirol und in der Schweiz eigene Vorstellungen geben, aber am Tage wünschte ich von dem Duft der Virginias, die Wedekind rauchte, von den Gesprächen über Kunst und Literatur bei Kaffee und Kognak, Absinth, Whisky und sonstigen Beduselungen des Gehirns, möglichst entfernt zu leben. Ich wollte keine vertrackten Theorien mehr hören, auch wenn sie noch so geistreich wären. Ich wollte einmal zu mir selbst kommen. 606