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Kurt Werth Sexualität als Sport? Von Alfred Döblin ie es mit der Sexualität steht, und ob man sie überschätzt oder unterschätzt, soll ich sagen. Sicher ist mir nur, wenn ich unter Menschen gehe, daß der alte Satz recht hat von dem „Weltgetriebe“, das durch „Hunger und Liebe“ erhalten wird. Und unter Liebe muß ich schon sexuelle Liebe — Liebe, die aus sexueller Quelle stammt — verstehen. Also: man kann Sexualität gar nicht über schätzen. Sie ist — entsprechend dem alten Satz — die zweite Achse, um die sich unsere Existenz dreht. Und vielleicht dreht sich unsere Existenz überhaupt nur um eine einzige Achse, und Hunger und Liebe gehören zusammen wie Ernährung und Wachstum. Aber Sie sagen: das will ich gar nicht wissen, mit Philosophie sind keine Ge schäfte zu machen, ich will praktisch wissen: wird von den Leuten heutzutage nicht zu viel Wesens von der bloßen Sexualität gemacht, sollte man nicht offen sagen, daß „Liebe“ viel wichtiger ist als die ganze bloße Sexualität, dieser üble Trieb, diese niederträchtige erbärmlich-organische Geißel der Menschheit, von der, wie schon einmal ein kluger Mann bemerkt hat, man erst durch das Alter befreit wird (aber übrigens auch da nicht, es gibt Beispiele von Exempeln). Also von „bloßer“ Sexualität und ihrer Überschätzung ist die Rede, von „organischer“ Sexualität, und ich erinnere mich, es gibt eine gelehrte Unter scheidung solcher bloßen, organischen Sexualität, von einer nicht bloßen, sondern verhüllten, von der Koppelung einer organischen Sexualität mit einem anderen Gefühl: das ist der „Detumeszenztrieb“ (zu deutsch Abschwelltrieb) und der „Kontrektationstrieb“ (das ist wohl Annäherungstrieb, Liebe). Ja, man kann wohl gelehrt so unterscheiden, meine ich, aber die Dinge kommen so nicht vor. Sie sind eben von Haus aus verbunden, die Natur ist schon so schlau und so geistvoll und so menschlich gewesen, und sie hat gar nicht einen dummen blinden 760