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Der große Zauberer Von Paul Wiegier J osef Kainz, Sohn des Gemischtwarenhändlers Anton Kainz in Wien, ist Zimmermaler und Uhrmacher und dient beim Militär. Dann sieht er Matras, den Volkssänger und Komiker; und dieser beleibte Mann, in dessen Späßen die Schwermut lauert, der einmal wahnsinnig von der Bühne des Carltheaters ab treten wird, erregt in dem Soldaten den Wunsch, Künstler zu werden. Er geht mit Matras nach Linz. Doch er hat kein Glück auf den Brettern, und so steht er eines Tags als Greisler da wie sein Vater. Bald schließt er den Laden, um seinen Hals in den grünen Kragen eines Finanzwachrespizienten zu zwängen. Seine Station ist Wieselburg in Ungarn, an der Donau, gegenüber der Insel Schütt. Er hat die Lehrerin Mathilde Bernhard geheiratet, die wie er von Weinhauern in Mistelbach in Niederösterreich stammt. Sie ist, mit dicken schwarzen Haar flechten um den schmalen Kopf und stechenden schwarzen Augen, so zart, wie er kräftig ist. Er kann einen Gulden krummbiegen und braust schnell auf. Für gewöhnlich kennen die Leute in den Wirtschaften ihn als schimpfenden Genießer. Von Wieselburg, das, wie er sagt, ein Saunest ist, übersiedelt er als Staatsbahn beamter nach Brünn und von da, sechs Jahre später, nach Wien, zu seinem Bruder Anton, dem bürgerlichen Vergolder, und zu den Verwandten Mathildes. Er hat einen gestutzten, am Kinn ausrasierten Vollbart und einen langgedrehten Schnurr bart, raucht Virginias und raunzt in den Kaffeehäusern. In Wieselburg ist sein Sohn Josef geboren. Der Bub hat die Lippen, das schwarze Haar, die Augen der Mutter. Seine Locken sind widerspenstig gegen die Brennschere. Da er den Klavierunterricht haßt, läßt er sich von einer Schaukel fallen und bricht sich den linken Arm. Der Bruch wird schlecht geheilt. Als er vierzehn Jahr alt ist, hört der Staatsbahninspektor, der die Wohnung in der Josefstädter Straße betritt, ihn und seine Freunde deklamieren. Der Fünf zehnjährige gibt bei Niklas, dem Inspizienten des Stadttheaters, im Sulkowsky- Palais auf der Matzleinsdorfer Straße, dessen Saal dann eine Waschanstalt wird, Väter und Helden. Nach sechs Monaten ist er Schüler der Hofburgschauspielerin Cesarine Kupfer-Gomansky, einer Anstandsdame, einer Hamburgerin, die er im Zorn eine Puderschachtel, eine dumme Gans, einen Haubenstock oder irgend einen Topf nennt. Die Eltern leihen sich Geld für seine Ausbildung, die Tante Kathi Bernhard, die Haushälterin eines Piaristenpfarrers, zahlt zu. Gegen die Warnung der Kupfer spielt er wieder bei Niklas. Er streitet sich mit ihm wegen einer defekten Flöte, auf der er in Raupachs Allerseelenstück „Der Müller und sein Kind“ als der Müllerbursche Konrad „Was Gott tut, das ist wohlgetan“ hat blasen müssen. Zum Probesprechen meldet er sich im Burgtheater. Mager und häßlich, stammelt er den Mortimer herunter; der Baron Dingelstedt hat kaum einen Blick für ihn. Aber der Regisseur Förster, ein robuster Norddeutscher, der von Friedrich Haase die Direktion des Leipziger Stadttheaters übernehmen will, merkt ihn sich vor. Er versucht sich am Sommertheater in Halberstadt, in Braunschweig, in Kassel. Als Fürst in „Dorf und Stadt“ wird er abgelehnt; 739