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Handbuch der schriftlichen Polemik Von Karel Capek ieser knappe Leitfaden ist nicht für die Kämpfer bestimmt, sondern für die Leser, damit sie sich einigermaßen in den Kampffiguren auskennen; ich sage: in den Figuren und keineswegs in den Regeln, denn die gedruckte Polemik hat zum Unterschied von allen ändern Arten des Kampfes, des Wettstreits, Schar mützels, Turniers, Zweikampfes, Handgemenges und männlichen Kräftemessens überhaupt keine Regeln, wenigstens bei uns nicht. Beim griechisch-römischen Ringkampf z. B. ist es nicht gebräuchlich, daß die Gegner einander nach dessen Austragung beschimpfen; beim Boxen ist es nicht gebräuchlich, mit der Faust in die Luft zu hauen und dann zu erklären, der Gegner sei knock-out; bei einem Bajonettangriff ist es nicht gebräuchlich, daß die Soldaten der beiden Parteien einander Übles nachsagen. Das besorgen für sie die Journalisten im Hinterland. Nun, all das und viel mehr ist in der schriftlichen Polemik gebräuchlich, und es wäre schwierig, etwas zu finden, was ein polemischer Kampffachmann als unerlaub ten Vorstoß, als unfaires Spiel, als Roheit, Mogelei oder unritterlichen Trick anerkennen würde. Es ist daher nicht möglich, alle Figuren der polemischen Exhibition zu beschreiben und zu benennen; die zwölf Figuren, die ich anführen werde, sind die geläufigsten, wie sie bei jedem, noch so anspruchslosen Druck gefecht auftreten. Wer Lust hat, mag sie um ein weiteres Dutzend ergänzen. 1. Despicere oder die erste Figur. Sie beruht darauf, daß der Polemisierende sich als seinem Gegner intellektuell und sittlich überlegen einführen muß; oder er muß, was dasselbe ist, zu erkennen geben, daß der W'idersacher beschränkt, ein Tölpel, ein Skribent, ein Schwätzer, eine Null, ein hohles Gefäß, ein Epigone, ein Schelm, ein Analphabet, ein Waschlappen, Unkraut, eine Mißgeburt und über haupt nicht würdig sei, daß man mit ihm rede. Diese apriorische Voraussetzung verleiht dann dem Polemisierenden jenen satten, belehrenden und selbstsicheren polemischen Ton, der unweigerlich zur Sache gehört. Mit jemandem zu polemi sieren, ihn zu verurteilen, nicht mit ihm übereinzustimmen und dabei einen gewissen Respekt zu wahren — all das gehört nicht zu den nationalen Ge pflogenheiten. 2. Die zweite Figur oder die Termini. Diese Figur basiert darauf, daß gewisse spezialpolemische Wendungen gebraucht werden. Angenommen, Sie schreiben, daß Herr X. Ihrer Ansicht nach in irgendeiner Sache unrecht zu haben scheine, so entgegnet Herr X., Sie hätten sich auf ihn „aus dem Hinterhalt gestürzt“. Wenn Sie der Ansicht sind, daß etwas leider nicht in Ordnung sei, so wird Ihr Gegner schreiben, daß Sie darüber „jammern“ oder „Tränen vergießen“. Ähnlich sagt man „er flucht“ anstatt: er protestiert, „er verleumdet“ anstatt: er bemerkt, „er schimpft“ anstatt: er kritisiert, und so weiter. Mit diesen Wendungen sind Sie als ein aufgeregter, übergeschnappter, verantwortungsloser und sozusagen tollwütiger Mensch plastisch dargestellt, selbst wenn Sie zufällig ruhig und gut mütig wie ein Lama sind. Damit wird gleichzeitig erklärt, warum Ihr ehrenwerter Widersacher mit einer derartigen Wortevehemenz über Sie herfallen muß, da er sich einfach gegen Ihr hinterhältiges Stürzen, Schimpfen und Fluchen wehrt. 478