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Unfug des Kabaretts Von Anton Kuh H inter jeder Minute des Daseins lauert die Frage: „Wozu?. .. Uns darüber hinwegzuschwindeln und das Fragezeichen vorübergehend unserem Blidc zu verbergen, ist eine der wesentlichsten Aufgaben der Kunst. Doch es gibt seltsamerweise ein Kunstgebiet, dessen Eigenart darin be steht, diese Frage an sich selber zu richten, sich selber gewissermaßen nicht über die Gasse zu trauen, die es uns führen will, und infolgedessen noch drängender und trauriger den Ruf in unsere Seelen zu schneiden: Wozu?! Wozu?! Wenn ich an den Begriff „Kabarett*' denke, bekomme ich sofort steife Backen. Die Aufforderung, gute Miene zum bösen Spiel zu machen, weil dieses hierdurch zum guten Spiel werde, hat meine Mundwinkel chloroformiert- Podiums-Augen flehen, betteln, dürsten mich an und machen mir zugleich lächelnde Ungezwungen heit vor, mit dem Ersuchen, einzustimmen und es ihnen nachzumachen. Die Anspannung des Menschen dort oben hat mich an die Schnur genommen und gibt meinen eigenen Atem nicht frei. Seine Art, in der Stimme anzügliche Vor sätze zu signalisieren, überträgt sich auf mich als Vorschrift zu verständnisvoller Erheiterung, mein Gelächter ist die anbefohlene Kadenz zu seinem Tonfall. Ja, ich muß soweit gehen, ihm Vertragstreue gegen jedes und jedermann zu halten, einem gemeinsamen Besten zu Liebe, das ich gar nicht gewollt und gesucht habe: für die Stimmung.- Amüsiere ich mich? Nein, ich werde examiniert, ob ich mich amüsiere. Die Unsicherheit hat einen wachsamen Blick. Mit dem bindet sie mich hier fest und läßt mich schinden und schwitzen, indem sie mir jene sauerste aller Arbeiten auflädt, die in der Sprache der Unterhaltungsstätten Das Mitgehen genannt wird. Dünn und reizbar ist die Luft eines Raums, wo sich solche Quälereien er eignen, mit zurückgehaltenen Tränen des Selbstbemitleidens gesättigt wie mit Gewitterdunst. Publikum und Podium verhalten sidi hier zueinander wie in Werfels Gedicht Erzherzogin und Bürgermeister, die sahen, daß sie sich Böses müßten tun. Nirgendwo wird mehr „Pst“ und „Ruhe“ gerufen, nirgends sind die Ohren zugleich toleranter und nervöser; sie lassen sich Wortspiel, Geschwätz, Vertraulichkeit und den Esprit zu Wort gekommener Zeitungsleser leidend ge fallen, wehren aber zugleich das leiseste Tuscheln, das vorsichtigste Messer klappern ungnädig von der Qual dieses Genusses ab. Woher kommt das? Da von, daß die Produktionen ohne absoluten Kunflwert sind, also selber um Schonung flehen? Keineswegs. Sondern vom erzwungenen Hilfsdienst der Gäste und ihrer Einbildung, die Mitverschworenen eines geistigen Vereins spielen zu müssen, der sich ein gemeinsames, womöglich anti-banausisches Ziel gesetzt hat. Früher einmal war diese Einbildung berechtigt, jener Hilfsdienst also ein frei williger. Da war der Kabarettier kein Berufsträger, das Kabarett kein Arbeits platz. Das „epater le bourgeois“ war damals seine Funktion, nicht sein Ver- Tibor Gergely 460