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Kolonial-Sektierer Von Balder Olden in Mann namens Brie, analytischen Geistes und voll Temperaments, der leider vor drei Jahren, blutjung, in Davos gestorben ist, hat kurz vor seinem Tode ein Buch „Verkappte Religionen“ geschrieben. Er macht blendend klar, wie unpolitische oder politische Irrlehren in ungeübten Köpfen schwe len, wie eine These, die gar nicht argumentiert werden kann, das für Volks reden geprägte „Donnerwort“ eines Demagogen, zur heimlichen Religion von Tausenden wird, die ihr Opfer bringen und Märtyrer stellen, wie aus den Tausen den Zehn- und Hunderttausende werden, Sektierer, die sich für Politiker halten. Ein solches Donnerwort hat der Schriftsteller Hans Grimm geprägt, als er sein schlechtestes Buch „Volk ohne Raum“ betitelte, und eine solche Wahnidee ist „Deutschland braucht Kolonien“. — Das ist zur Religion geworden, das wird gepredigt, und die Gemeinde dieser Kolonial-Gläubigen wächst mit jedem Tag. Alles Ach und Weh, das uns drückt, wäre in der Stunde behoben, glauben sie, in der auf der Landkarte von Afrika ein Stück Land von stattlichem Umfang wieder Deutsch-Afrika hieße; es käme Ordnung und Behagen in unsere Wirt schaft, wenn wir Kautschuk, Sisal, Baumwolle, Kaffee im eigenen Garten ziehen, Hunger und Arbeitslosigkeit hätten ein Ende, die abenteuerlustigen Jungens einen Turnierplatz für ihre Heldentaten, die deutsche Landwirtschaft würde florieren, die Bodenfrage wäre gelöst! < „Volk ohne Raum“ — soll Deutschland sein, dessen 62 Millionen Bewohner auf etwa 469 tausend Quadratkilometer Land zusammengedrängt sind, so daß 133 Deutsche sich in einen Quadratkilometer teilen müssen. Dagegen verfügt nach Grimmscher Theorie England mit Kronländern und Dominions — die Mandatgebiete ungerechnet — für seine 45 Millionen Menschen über 34 Millionen Quadratkilometer Kolonialgebiet, so daß jeder Engländer fast einen Quadrat kilometer Land für sich hat, 133mal soviel wie sein deutscher Vetter! Die Belgier, die den belgischen Kongo besitzen, müssen sich zwar zu etwa 3,5 Personen mit einem Quadratkilometer behelfen, die Holländer haben kaum zu viert einen, die Portugiesen aber zu je 2,25. Auch die Franzosen müssen mit einem Viertel pro Mann auskommen, aber immerhin — Luft haben sie doch alle, können nach Lust und Begabung ihre eigene Scholle bauen, werden nicht in die Industrie, den Handel, die Arbeitslosigkeit hineingestoßen wie unsere deutschen Bauern jungen! Diese Raumlosigkeit mache Deutschland zum Gefängnis für seine Söhne, klingt der Refrain, sie nehmen einander die Luft weg, Milhonen wandern aus, fremden Ländern ihre Kraft zu bringen, in fremden Völkern aufzugehen. Dem Mutterland sind sie verloren, aber dennoch glücklich zu preisen neben uns Zusammengepferchten daheim! Das wird geglaubt, wer diesen Wahn verbreitet, wird Ehrendoktor der Universität München. Boykottiert und verlästert wird, wer widerspricht, seis auch mit Argumenten. Mit dem Argument etwa, daß die Bevölkerungsdichte in den Mutterländern tatsächlich so ist: Holland zählt pro Quadratkilometer 225, Belgien 263, und selbst England 187 Bewohner, obwohl den Engländern