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stechendste Eigenschaft maßlose Überreiztheit und Nervosität glaubhaft zu machen weiß. Ein Stierkämpfer ist ein Wesen, das sich immerwährend wie auf der Treppe zum Zahnarzt befindet und dem kein größeres Glück widerfahren kann, als daß ihm auf dieser Treppe ein Sarg begegnet, der ihn veranlaßt, es für dieses Mal sein zu lassen. Seine Schreckhaftigkeit führt ihn dazu, aus dem Aberglauben einen Kult zu machen. Seine Mentalität läßt ihn beispielsweise in dem vor seinem Tisch im Cafe stehenden Stuhl Verwandtschaft mit dem menschlichen Knochengerüst feststellen, und es bringt den Torero zur Raserei, wenn einer der Cafegäste den Stuhl neben ihm aus Laune oder Langeweile „tanzen“ läßt. In diesem Vorgang sieht er Tanz eines menschlichen Skeletts, also einen Totentanz, und somit eine Warnung aus dem Grabe, an diesem Tage sein Leben beim Stierkampf keiner Gefahr auszu setzen. Als zweites böses Omen gilt der Anblick der schwarzen Sonne eines zum Trocknen aufgespannten Regenschirms, welcher in der Ideenwelt der Stier kämpfer als weit aufgesperrter schwarzer Rachen des Todes fungiert. In jedem Haus gibt es einen aufgespannten Regenschirm und in jedem Cafe einen Mann, der seinen Nebenstuhl hin und her wackeln läßt. So daß, selbst wenn es nicht mehr wären, der Torero mit diesen beiden unheilverkündenden Vorzeichen auskäme, um bei jedem Stierkampf vollauf Grund zu haben, sich bescheiden zurück zuhalten. Indes der Gegenstand der größten Furcht ist für den Stierkämpfer: berühmt sein. In seiner Jugend träumt er davon, berühmt zu werden; im Alter davon, berühmt gewesen zu sein; aber niemals lockt es ihn, berühmt zu sein. Spanien hat der Welt bisher sehr wenige Filme geschenkt. Aber alle diese wenigen Filme haben zum Argument einen unbekannten jungen Mann aus dem Volk, der ein berühmter Torero wird und sich auf diese Weise die Liebe seiner bis dato spröden An gebeteten erwirbt. Dieser Verlauf der Ereignisse zwingt die Braut des Stier kämpfers, gegen Schluß des letzten Akts den unfreiwilligen Ausdruck der Ver achtung in ihrem Antlitz freiwillig aufzugeben, und zwar zugunsten des Aus drucks von unsäglichem Glück. Nun fällt es der Spanierin — wie im Film, so im Leben — schwer, unsägliches Glück zu markieren. Nicht angekränkelt vom Gift geistiger Kultur, wird die obere Partie ihres Körpers nur in verzweifelten Fällen von Innenleben heim gesucht. Durch die Umstände gezwungen, unsäglichem Glück Ausdruck ver leihen zu müssen, bleibt ihr keine andere Möglichkeit, als die Lippen zu schürzen, wodurch sie unweigerlich das rätselhafte Lächeln der Mona Lisa bekommt. Dieses Lächeln aber, das — nicht nur gemäß der Oper von Schillings — auf nichts mehr schließen läßt, denn auf heimliche Untreue, ist der Verderb der meisten Stier kämpfer. Ich wage nicht zu entscheiden, ob die Spanier hervorragend eifersüchtig sind. Sicher ist, daß der Mann rasend und völlig kopflos wird, wenn sich die Frau heimlicher Untreue verdächtig macht; und zwar sehr viel weniger wegen der Untreue und der damit verbundenen gekränkten Ehre, als wegen der Heimlichkeit und der sich aus ihr ergebenden ungestillten Neugierde. Bezeichnenderweise kommen die meisten Toreros um, nicht solange sie, verhältnismäßig unerfahren, an ihren ersten ausgewachsenen toros praktizieren, sondern dann, wenn sie berühmt geworden sind.