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Der Stierkampf, vom Torero aus gesehen Von Mäximo Jose Kahn D ie Engländerinnen, die, nach 1918, wieder ihre ersten Spanienreisen machten und naturgemäß noch unter dem Eindruck des Krieges standen, fanden es angebracht, zwar den Stierkampf nicht unbesucht zu lassen, aber doch nach kurzer Zeit des Zuschauens ohnmächtig zusammenzubrechen. Die Spanierin, der bis zu jenem Zeitpunkt der Gedanke nicht gekommen war, in dieser Weise die Auf merksamkeit auf sich zu lenken, ahmte der Engländerin begeistert nach. Bisweilen mußte man Stierkämpfe nahezu unterbrechen, nicht, weil an verschiedenen Stellen junge Damen gleichzeitig ohnmächtig geworden waren, sondern weil die ohn mächtig Gewordenen nicht zulassen wollten, daß man sie hinausbrachte — da sie ja keineswegs zu diesem Zweck dem Anfall erlegen waren. Man kam daher nach knapp drei Jahren von der Ohnmacht schon wieder ab und beschränkte sich auf Todesblässe, die erzeugt wird, indem man in einem beobachteten Augenblick die rechte Hand zu Gesicht führt und in einem unbeobachteten sich mit zwei spitzen Fingernägeln in eine gewisse Stelle unter den Gipfel der Nase zwickt. Was für eine Rolle die Frau in der Arena spielt, geht aus Stierkampfankündi gungen vorzüglich kleinerer Städte hervor, in denen es — nachdem gesagt wurde: „Eine brillante Musikkapelle wird das Schauspiel verlieblichen, indem sie die ausgewähltesten Stücke aus ihrem abwechslungsreichen Repertoire spielt“ — gegen Schluß zu heißen pflegt: „Dem Stierfest werden junge und distinguierte Mädchen beiwohnen, welche durch die bunten Mantones, die sie zur Schau tragen, der Veranstaltung eine besonders heitere Note verleihen und ihren Glanz erhöhen werden.“ Den unerfahrenen Leser des Plakats erstaunt, daß man mit Zuschauern, als wie mit einer Darbietung, Reklame macht, und er glaubt, daß sich die Sache genau so verhalte, wie wenn ein Berliner Theater den Zustrom des Publikums dadurch zu intensivieren versuchte, daß es auf seine Programme schriebe: „Im Parkett wird man Damen der Gesellschaft mit wahrhaft verführerisch tiefem Dekollete beobachten können.“ Nun ist das moderne Theater noch immer ein Guckkasten, vor dem man entweder zuschaut oder in dem man zur Schau gestellt ist. Beim Stierkampf ist je doch der Zuschauer ebenso zur Schau gestellt wie der zur Schau gestellte Stier kämpfer Zuschauer. Vor dem Torero und seinen Helfern in der Mitte der Arena ist das von Licht und Schatten unterschiedlich behandelte Tribünenrund wie eine riesige Bühne voll plastischer Wirkungen ausgebreitet. Die schauspielerisch außer ordentlich begabte, unerhört lebhafte Menge der männlichen Zuschauer ist für den Torero etwa der griechische Chor; die Führer dieses Chors, seine Bevoll mächtigten, sind die „jungen und distinguierten Mädchen, welche durch die bunten Mantones, die sie zur Schau tragen, usw.“ Wenn man nun weiß, daß in den spanischen Theatern Frauen nicht ins Foyer dürfen oder aber doch von den Männern getrennte Foyers haben, dann erschrickt man unter der Vorstellung, daß beim Stierkampf junge Mädchen sozusagen mitten 398