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mehr nur einige Namen wie Feyder und Rene Clair. Und der objektive Historiker muß feststellen, daß die großen Leistungen dieser beiden Künstler z. B. wohl in Frankreich entstanden sind, aber immer von landfremden Elementen und Kapi talien finanziert wurden. (Seit drei Jahren arbeitet übrigens Jacques Feyder in Hollywood und Rene Clair, nachdem er bei zwei von Russen dirigierten Firmen beschäftigt war, heute bei einer Pariser Gesellschaft, die mit holländischem Kapital gegründet wurde und von Deutschen geleitet wird.) Trotzdem hatten sich in Frankreich, wo es immerhin zu einer Filmindustrie gekommen ist, die Dinge rein äußerlich zum Besseren gewendet. Ursache: die Banken. Sie hatten sich verleiten lassen, Geld zu investieren, wodurch sie ge zwungen wurden, ihrem Geld nachzulaufen. So ist beinahe unabsichtlich Be wegung und Entwicklung in die Sache gekommen. Das Geld rollte, man suchte sich den modernen Bedingungen anzupassen, anständige Honorare für gute Manuskripte, für Schauspieler Regisseure usw. zu zahlen, überhaupt großzügig zu sein. Und am Ende der zweiten Epoche, gegen das Jahr 1928 etwa, schien sich ein Wunder zu vollziehen. Die beiden in den Hintergrund geratenen Häuser Pathe und Gaumont wurden frisch angestrichen, modernisiert, mit Geld und Optimismus ausgestattet. Man war gerade noch zurechtgekommen: ein neuer, entscheidender Abschnitt: DIE NEUZEIT hatte begonnen, durch die Entdeckung Amerikas, durch den Tonfilm. Erfunden wurde diese diabolische Angelegenheit wohl in Deutschland und in Frankreich, aber entdeckt haben sie die Amerikaner. Zur Ehre der Europäer muß gesagt werden, daß, wäre es nur auf sie angekommen, kein europäischer Kaufmann, der in Massenpsychologie macht, an eine nutz bringende Auswertung des Tonfilms geglaubt hätte. Historische Tatsachen be weisen es zur Genüge. Das war Amerika Vorbehalten. Man weiß, die Anfänge dieser Neuzeit sind durch das Umfallen aller bisherigen Werte gekennzeichnet. Die allgemeine Atempause, die da plötzlich in der ganzen Filmwelt notwendig geworden war, hat Frankreich den Vorsprung der ändern einholen lassen, zum Teil wenigstens und in technischer Hinsicht. Das „talkie“ hat aus den bekannten Gründen der Sprachgrenzen die Internationalität des Films gebrochen. Die Franzosen waren mit einem Schlag wieder mehr oder weniger Herren im eigenen Land, ebenso wie die Deutschen. Zudem hatten sie sich große Bastionen mit einem Gesamtaktienkapital von beinahe einer Milliarde Francs errichtet. In den Jahren 1929—30 sind nach amerikanischem Muster große „Kinoringe“ entstanden, große Ateliers und ganz große Ambitionen. Paris ist wieder ein internationales Film zentrum geworden, es wird hier viel, d. h. relativ viel produziert. Doch auch hier muß die historischeWahrheit gesagt sein: wohl stehen französische Großbanken hinter dem Film, aber es sind Ausländer, die die Millionen zum Rollen gebracht haben, allerdings von solchem Kaliber, daß man weder von einer der Gegenwart entsprechenden modernen Organisation reden kann, noch von bedeutenden Persönlichkeiten. Die Amerikaner werden auf die Eroberung der Welt, zu der sie sich durch den Siegeszug ihres Films haben anregen lassen, nicht so schnell ver zichten: Die Kolonisierung Filmfrankreichs schien und scheint ihnen besonders am Herzen zu liegen. Stellt nicht aber eine Niederlage des französischen Films eine europäische Niederlage dar? 37