Volltext Seite (XML)
l [ ■•!# I i im P Ei IM. (iit |5«fr. ii m tß k h 1 if I J Ü f i i I «fh hl Wilhelm Wagner ■frf' von Ihnen erzählt. Ich bin Charlie Chaplin!“ — Charlie hatte die Rolle des erfolgreichen Sid über nommen, da Sid sich einer anderen Tournee an geschlossen hatte. Welche Gegensätze, Sid und Charlie! Konnte Sid immer lachen, jungenhaft sich freuen, so war Charlie immer ernst. Wir traten einen Wintermonat zusammen in dem selben Theater auf. Charlie war immer schweig sam. Riß er auch des Abends das Publikum zu lauten Beifallsäußerungen hin, so war er doch einer der wenigen Humoristen, die, durch Leid und Sorgen gegangen, ein trauriges Alltagsgesicht zur Schau trugen. Einmal — ich entsinne mich dessen noch sehr genau, wurde der Kleine erregt. Wir sprachen in der gemeinsamen Garderobe von der Zukunft. Ich erzählte von meinen Plänen. Groß, berühmt wollte ich werden, viel Geld ver dienen. „Du ?“ schrie Chaplin, „du ? nie im Leben l Hast du jemals gehört, daß Artisten Karriere machen? Sehr selten, das ist Glück, das kannst du nicht mit Arbeit zwingen, du ebensowenig wie ich.“ Und dann lächelte er. Dies Lächeln erinnerte mich an ein Kindheitserlebnis in meiner Heimat. Als ich meiner Mutter einmal erklärte, ich wollte noch reicher werden als der reichste Mann des Kantons Bern, erhielt ich Schläge. Chaplin lächelte, das schmerzte genau so. Jahre sind vergangen. Chaplin hat den Menschen unserer Zeit das Verständnis für den exzentrischen Akteur nahegebracht, er hat sie das Lächeln gelehrt, er hat in den Ereignissen, die ihn ereilen, die ihm zustoßen, die lebendige Aktualität erfaßt, die den Zuschauern ihr eigenes Empfinden verdeutlicht, ihnen nahebringt: auch dir könnte es so ergehen. g Wir trafen uns wieder. Sid besuchte mich in London. Charlie traf ich in Ame rika: „Du, Grock, wir sind immer noch nicht berühmt, immer noch nicht groß, wir müssen weiterkämpfen, Weiterarbeiten! Wenn wir groß geworden sind, dann sind wir alt.“ Und dann lächelte er wieder. Er, der größte Komiker, der größte Darsteller der Welt, der Millionär, der Schloßbesitzer Chaplin. Wenn er jetzt hört, daß ich mich zur Ruhe gesetzt habe, dann wird er vielleicht sagen: „Armer Grock!“ Aber vielleicht meint er auch, daß ich gar nichts erreicht habe, nichts geworden bin? Das ist schon möglich. Nun filme ich selbst. Ich weiß nicht, wird es was werden, werde ich in dem einzigen Tonfilmwerk, das ich vorhabe, meine Ideen, meine Bühnenwirkung auch hier zur Geltung bringen? Wünschen tue ich nur, daß Chaplin diesen Film sieht, und wenn er ihn dann ernst betrachtet, ernst beurteilt und nicht lächelt: dann werde ich statt Gutsherr in Oneglia — Grock der Filmschauspieler. Vielleicht: nicht möglich. 30 io».