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Ich dachte einst, ehe ich der leuchtenden Bilderwand nähertrat, daß es möglich sei, dem Film einen richtigen Rhythmus zu geben. Ich habe im Filmrhythmus drei bestimmende Tatsachen unterschieden, mit deren Hilfe man zu einer Kadenz gelangen könnte, die nicht ohne Zusammenhang mit der Kadenz des lateinischen Verses ist: 1. Die Dauer einer jeden Vision. 2. Die Szenenwandlung oder die „Motive“ der Handlung (innere Bewegung). 3. Die Bewegung der durchs Objektiv verarbeiteten Gegenstände (äußere Be wegung, das Spiel des Schauspielers, die Beweglichkeit der Kulisse usw.). Der Zusammenhang dieser drei Faktoren ist aber nicht leicht zu definieren. Die Dauer und die Wandlung der Visionen haben einen der „äußeren Bewegung“ untergeordneten rhythmischen Wert im Film, dessen gefühlsmäßige Qualität un schätzbar ist. Und welches metrische Gesetz gilt gegenüber dem Verhältnis zwischen dem um die Achse rotierenden Film und dem Zuschauer? Und gegen über dem Übergang vom Objektiven zum Subjektiven, durch welchen wir so viele Wunder erleben? Der Zuschauer beobachtet den fernen Lauf eines Autos, und fühlt sich plötzlich unter den Rädern; er blickt auf den Schnelligkeitsmesser, und ergreift gleichsam das Steuerrad. Er wird zum Schauspieler, und seine Augen verschlingen die vorbeieilenden Bäume. * Agnostizismus. Wird unsere Generation je die Filmfrage und die durch den Film gestellten Fragen verstehen? Ich bezweifle es. Man könnte meinen, diese Zweifel seien unvereinbar mit der Kenntnis des Handwerks, die man gewöhnlich vom Künstler verlangt. Verlangen wir für den Film das Recht, nur auf Grund dessen beurteilt zu werden, was er verspricht. Ich bin gern geneigt, alles abzu lehnen, was in der Welt der Bilder Regel und Logik ist. Die wundervolle Barbarei dieser Kunst reizt mich. Endlich einmal haben wir hier ein jungfräuliches Gebiet 1 Es mißfällt mir nicht, die Gesetze einer entstehenden Welt nicht zu kennen. In dieser neuen Welt gibt es keine Sklaverei. Der Anblick der Bilder ist mir ein Ver gnügen, das allerdings nicht immer derart ist, wie man es mir vorgaukeln wollte. Für mich ist es das Gefühl musikalischer Freiheit. Reiterin im Galopp . . . Horizonte stürzen zusammen, Tiefen öffnen sich . . . Sei Standbild, Haus, junger Hund, Goldsack, Eiche, reißender Fluß . . . Ich kann Dein Bild, o Jägerin, nicht trennen von Deinem Königreich . . . Eine solche Bildfolge müßte bald an ihrer eigenen Unlogik zugrunde gehen. Doch diese Bilder, von welchen kein einziges einen absoluten Sinn hat, brauchen sich nicht um die alten Gedankengänge und um Logik zu kümmern. Blondine, Sie heben den Kopf, und Ihr Haar läßt zurückweichend Ihr Gesicht erkennen. Dieser Blick wie Ihre Bewegung gegen die Tür kann den Sinn geben, der mir gefällt. Wenn Worte Ihnen Leben schenken könnten, so wäre es mir unmöglich, Sie ihrer Macht zu entziehen; Sie wären ihre Gefangene. Seien Sie meine Geliebte, schönes Bild. Sei mein, liebliche optische Illusion! Es ist mein eigenes, neugeschaffenes Welt all, dessen liebevolle Erscheinungen ich nach Belieben auftauchen lasse . . . 23