höchste Form der Kunst bezieht den Beschauer vollständig in den Bereich des Schöpfers. Er wird zum Teilnehmer. In zeitgenössischer Berechnung ist dies die Rückkehr durch den Sport zur Schließung des Ringes mit den antiken Schau spielen vor Geburt der Tragödie. Und die Wissenschaft ? Das Buch, das gedruckte Wort, das Auge, das Gehör. Es steht schlecht damit. Buch, W ort, Auge. Wandern von einer Zimmerecke in die andere. Es wird schon besser. Wer hat nicht als Student gebüffelt und ist, das Buch in der Hand, von einem Ende des Fußbodenrechtecks in die andere gelaufen unter dem Gemurmel: „Der pythagoräische Lehrsatz.“ Wer hat nicht rhythmisch mit der Faust zur Stützung seines Gedächtnisses auf den Tisch geklopft? Das heißt: Wer hat nicht den optischen Erreger durch Einbeziehung der Motorik in den Erinnerungsprozeß abstrakter Wahrheiten gefördert? Es wird noch besser. Das Publikum. Der Lektor. Natürlich nicht ein kalter Aufklärungsbürokrat, sondern irgendeiner der alten flammenden Fanatiker (ihrer werden ja jetzt weniger), wie mein verstorbener Mathematikprofessor Sochatzki, der in meiner Studienzeit an der Technischen Hochschule eine Rede über die Integrale halten konnte, wie sie Danton nicht flammender gegen die Feinde der Revolution halten konnte. Das Temperament des Vortragenden erfaßt den Zuhörer vollständig. Und ringsum in der stählernen Umklammerung beginnt das Auditorium elektrifiziert zu atmen. Das Auditorium ist plötzlich zum Zirkus wie zum Boxerring, zur politischen Versammlung geworden. Zur Arena eines einheitlichen kollektiven Durchbruchs. Zum einheitlich pulsierenden Interesse. Die mathematische Abstraktion ist plötzlich Fleisch und Blut geworden. Man erinnert sich der publizierten Formel im Rhythmus seines Atems. Man erinnert sich des trockenen Integrals im Glanze fieberhafter Augen. Die Gedächtnis findung wird zur kollektiv erlebten Aufnahme. Weiter. Das Kollektiv hat plötzlich zwei Zeilen. Das Rednerpult spaltet sich. Zwei Opponenten treten auf. Das Pult wird zum Katapult. Im Feuer der Dialek tik, in der Diskussion wird die objektive Gegebenheit, die Bewertung der Er scheinungen, die Tatsache geschmiedet. Das autoritativ-teleologische „So ist es“ fliegt zum Teufel. Die gläubig aufgenommene Aktion endigt mit Krach. Das in Widersprüche aufgelöste Theorem, die Notwendigkeit von Beweisen erzeugt den dialektischen Konflikt. Er schließt das dialektisch ausschöpfbare, in Wider sprüchen erreichbare Wesen der Erscheinung in sich. Unwidersprechlich. Die im inneren Kampf mobilisierten entgegengesetzten Gesichtspunkte erschöpfen die Elemente der Logik und des Temperaments der Persönlichkeit. Im Schmelzofen des dialekdschen Feuers wird der neue Faktor der Ordnung geboren. Es wird der neue soziale Reflex geschmiedet. Wo ist der Unterschied, wo der Abgrund zwischen Tragödie und Keferat? Liegt nicht der Sinn beider darin, den inneren Konflikt anzufachen und durch seine dialektische Lösung die aufnehmenden Massen mit einem neuen Antrieb von Aktivität und dem Mittel zur Lebensschöpfung zu versorgen ? Wo ist der Unter schied zwischen der vollendeten Methode der Redekunst und der vollendeten Me thode der Erreichung von Kenntnissen ? Dem Dualismus der Sphären „Gefühl“ und 3 >Verstand muß die neue Kunst eine Grenze zu-setzen. Der Wissenschaft muß ihre Sinnlichkeit zurückgegeben werden. Ihrem intellektuellen Prozeß Feuer und