Volltext Seite (XML)
Käte Wilczynski KASTILIEN, NICHT ANDALUSIEN Von KÄTE WILCZYNSKI F ür den oberflächlich Reisenden ist Spanien schlechthin Andalusien alles blauer Himmel, weiße Häuser, Palmen, Mantas, Kastagnetten, hohe Hüte und Blumen im Haar. Das alles ist zehntausendmal gemalt und jedem zugänglich auf zehntausend Postkarten. Es ist kaum zu glauben, daß Kastilien dasselbe Land ist. Kastilien erschließt sich sehr schwer. Die Silhouette läßt sich schwer vergessen: Bergketten, ganz spärlich mit Bäumen bewachsen, Oliven und Pinien, die wie Punkte wirken. Eingestreut in die Landschaft die pueblos, deren Hauptmerkmal die Kirche ist und die sehr arm sind: viele haben keine Schule, aber die meisten Stierkampfplatz und wunder bare alte Klöster. Entsetzlich viele Kinder, die Frauen arbeiten viel und waschen fast immer (sie sind hier sehr sauber mit Bett- und Leibwäsche), die Männer erzählen. Getrunken wird im allgemeinen wenig, die harmlose Leidenschaft, über die nichtigsten Dinge erregte, endlose Diskussionen zu führen, scheint mir die hauptsächlichste männliche Eigenschaft zu sein. Allerdings auch Domino und ein Kartenspiel, das sich „musch“ ausspricht. Menschliche Werturteile über ein Land zu fällen, das einem Gastfreundschaft gibt, ist schlecht — aber bei allen liebenswerten Eigenschaften: wenn man sach lich mit den Leuten zu tun hat, gerät man in Verzweiflung. Man muß sich erst daran gewöhnen, daß ,,Ja“ nicht Ja ist — hier sagt man nie nein , ebenso wenig wie jemand die Leistung des ändern kritisieren würde. Dies ist bestimmt ein großes Übel, denn dadurch wird niemals Niveau erreicht. Rein optisch ist Kastilien gewiß eindrucksvoller als jedes andere Land. Nicht nur äußerlich: die Art, wie die Menschen auf dem Esel sitzen, stunden- und tagelang, der Ausdruck der Ergebenheit, den sie gemeinsam mit ihrem Esel haben, der Schal aus Wolle um den Hals und das halbe Gesicht verdeckend, dazu die voyna (Baskenmütze) — das ist typisch kastilianisch, ein Bild, wie 443