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von starken Salaten begleitet. Das gilt für die städtischen Restaurants, die sich übrigens sommers aufs Trottoir breiten. Der Bauer ißt sich an seiner Mamaligä satt, der festeren Polenta aus Mais, da2u nimmt er, wenn ers hat, Butter und Käse oder Rahm und Sahne. Bauer und Bojar trinken, was die Flasche und mehr als die Tasche hergibt. Der Wein wächst gut im Land, aber der Kleinbürger trinkt gern heimi sches Bier. Beim Trinken wird Politik gemacht. In den Salons wird von denDamen undOffizie- ren Poker gespielt, in der klein städtischen Bierhalle Table. Es gibt Gesangvereine, namentlich unter den Studenten, aber keine Kegelbahnen. Die Studenten — eine Macht, mit der man rech nen muß—machen auch Politik und zeigen sich ostentativ in der bäuerlichen Nationaltracht. Es gibt eine Nationalliteratur, und Nationaltheater mit festem Ensemble in den Provinzhauptstädten, in Bukarest sogar eine Staatsoper und ein Philharmo nisches Orchester. Bukarest ist überhaupt eine Theaterstadt, es hat zehn Bühnen und eine täglich erscheinende Theaterzeitung. Der rumänische Journalismus ist aus gezeichnet, witzig und frech. Die Literatur gipfelte bisher im romantischen Lyriker Eminescu, im lyrischen Dramatiker Alexandrt, im Volksstückdichter und Humoristen Caragiale. Neue Lyriker (zumeist Symbolisten) sind Cerna, Anghel , Arghe^i, Goga (dieser ist wohl der erste Lyriker der Welt, der es zum Innenminister brachte), ein Novellist und Romancier von Rang Kebreanu. Die Literatur ist so jung, daß sie jetzt erst beim poetischen Realismus unserer neunziger Jahre hält. In Bukarest gibt es natürlich auch Futuristen und Pirandellisten — aber noch immer werden romantische Versdramen geschrieben, selbst von Journalisten. Die Literaten klagen über das geringe Echo — folglich ist man überrascht, wenn plötzlich im Cafe Capsa ein feierlicher Herr im Jackett und Zylinder auf steht und mit schmetternder Stimme die Gründung einer „wirklich unabhängigen“ neuen Zeitschrift für Kultur und Kunst ankündigt. In Wirklichkeit ist die Öffent lichkeit namentlich in Bukarest sehr groß, und Frauen, Dandies, Schauspieler. Künstler, Offiziere, Politiker und auch die königliche Familie scheinen immerfort unter Scheinwerfern zu agieren. Man ist sehr beweglich, wenn auch nicht sehr fleißig. Der Rumäne ist Romane und zugleich Orientale ■— er ist Südländer. Emst Wagner 435