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DIE GLETSCHER-BALLADE Von FERNER HELWIG* ^echs Mann, angeseilt und lachend, O interessierten sich für einen acht stundenlangen Gletscher in den Alpen Norwegens, und es war kein Scherz, sag ich euch, denn sie stiegen lachend, Pfeifen schräg, zum Gletscher hinauf- Das Leben ist wie ein großer Regen, sagten sie gern, man soll da seine Seele ruhig hineinhalten und keine Schirme brauchen wider die Gewalten. Die Schuhe wurden schneeschwer und die Pfeifen erloschen, über verwehte Spalten tanzten sie wie über Parkett, und sie staunten über den Himmel, die Berge und über die Ferne, aber trotz des schleifenden Sturms lachten sie oft. Denn das Leben ist wie ein großer Regen und man soll seine Seele hinkalten. Nach sechs Stunden begann ihnen das Lachen festzufrieren, ihre Gesichter wären zerbrochen, hätten sie sie verzogen, der Himmel wurde schon kleiner, Wolken sanken und Nebel, der Sturm feilte Löcher in ihre zögernden Leiber. Aber das Leben ist wie ein großer Regen, jagten sie, und man soll keine Schirme brauchen wider die Gewalten. Nach acht Stunden war der Gletscher es müde, vergeblich saugte er aus Rissen und Löchern nach ihnen, so bog er sich lockend und rund in den See, doch mißlang seine List, sie kletterten links in die Felsen. Ja, ja, das Leben, dachten sie — Da gähnte er Nachtsturm und Regen heran, in der Finsternis, hoffte er, würden sie doch noch sein Fraß, sie aber bargen sich unter den Steinen und schliefen, viel Wasser kroch suchend nach ihnen aus. Und dieses Leben ist wie ein großer Regen, meinten sie, man muß sich nur die richtige Lage geben. * Mitglied der Landstreicher-Organisation „Toddy“ 108