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Im folgenden soll versucht werden, über Weltanschauungsprobleme unserer bekannten Mediziner — selbst die mehr auf mechanistisches Denken gestellten Chirurgen sind in der Reihe —■ kurz zu referieren. I Einer der typischsten Vertreter ärztlichen philosophischen Denkens ist der Berliner Kliniker Prof. Friedrich Kraus. Für ihn sind Seele und Leib des Menschen eine Einheit, eine lebendige Ganzheit. Die Krankheiten des Menschen, die er im klinischen Betrieb sowohl am Krankenbett als auch im Laboratorium zu erforschen vermag, geben ihm den Schlüssel zur Einsicht in das biologische Geschehen. Ist irgendein Teil des Menschen, und sei es auch das kleinste Organ oder Organteilchen, krank, so ist immer auch der ganze Organismus krank. In seiner auf zahlreichen biologischen Versuchen aufgebauten Lehre zeigt Kraus den Zusammenhang des chemisch-physikalischen Geschehens im Körper mit den Lebensvorgängen und seelischen Aus drucksmöglichkeiten. Die „vegeta tiven Strömungen“ im Körper, das heißt jener komplizierte Mechanis mus physikalischen und chemischen Reagierens, liefern die Grundlagen für die sogenannte „Tiefenperson“, die unterbewußtes und oberbewußtes Korrelat des Lebensprozesses ist. Neben diesem vegetativen Leben, das sich durch die Triebe, die Affekte, Einfühlung, Gefühle als Triebphäno mene und die intuitive, prälogische Erkenntnis äußert, gibt es beim Menschen noch die sogenannte „Rin denperson“, die sich in den Funktio nen der Hirnrinde, in der Gnosis (Vernunft) und Sprache offenbart, wodurch synthetische Urteile und Willenshandlungen möglich sind. Kraus hat eine Schule gebildet, ZU R„d. Grossmann” Prof. Leschke deren Vertretern namentlich der Ber liner Arzt Prof. Dr. Frich Feschke gehört, der als Schüler von Erdmann und Külpe von der Philosphie zur Medizin kam und ständig — neben seinen klinischen Vorträgen — an der Universität über „Leib und Seele“ liest. Der Kernpunkt der Leschkeschen philosophischen Auffassung beruht in folgendem: Der sogenannte Hirnstamm, d. h. die inneren und tieferen Teile des Gehirns, ist der Träger der lebenswichtigen Triebe, Instinkte, Allgemeingefühle, Affekte, Impulse und In tentionen. Im Gegensatz dazu ist die Hirnrinde der Sitz derjenigen Zentren, welche die Triebe zu vergeistigen und sublimieren, zu veredeln und zu regulieren vermögen. Die Triebe und Instinkte bilden die Tiefenperson, das heißt das Roh material für die Persönlichkeitsbildung. Dieses Rohmaterial kennzeichnet den eigentlichen Menschen. Es ist das, was ihn im tiefsten Grunde zu seinem Verhalten und zu seinen Reaktionen zwingt. Die vom Hirnstamm ausgehenden seelischen 591