GENUG JAZZ! Von CLIVE BELL D ie Jazzbewegung ist der Kamm einer Welle; die Welle — die große Be wegung, die gegen das Ende des 19. Jahrhunderts als Gegenschwung wider die Betonung des Stofflichen und gelehrtes Heidentum einsetzte — ist nach wie vor im Fluß. Die Welle ist ihrem Wesen nach diejenige Bewegung, die man mit dem Namen Cezanne zu decken geneigt ist: sie hat nichts zu tun mit Jazz; ihre eigentliche Äußerung ist die moderne Malerei, die vom Jazz nahezu unbeeinflußt geblieben ist. Die großenmodernen Maler: Derain, Matisse, Picasso, Friesz, Braque usw. hatten sich bereits deutlich in ihren Entwicklungs linien geäußert, ehe es überhaupt Jazz gab. Die Bewegung platzte in die Welt hinein ums Jahr 1911. Sie wurde ausgelöst von einer Jazz band und einer Truppe Neger, die auch tanzten. Nach außen hin entlehnte sie ihren Namen der Musik, derjenigen Kunst, die stets hinter der Zeit nach hinkt. Respektlosigkeit ist sein Hauptmerkmal; Respektlosig keit, die ihren technischen Aus druck findet in der Synkopie- rung: Respektlosigkeit, die den T akt überspringt. Die„Rüttel-“, die „Ragtime-Bewegung“ wäre eine bessere Bezeichnung ge wesen; aber das Wort „Jazz‘ & Arthur Grimm (Litho) fünf Sprachen einge- hat sich in mindestens bürgert — also heißt es sich damit abfinden. Nach der Respektlosigkeit kommt die Neigung zum Verblüffen: Du sollst nicht sorglich von Stufe zu Stufe getragen, sondern gleich derart überfallen werden, daß es dir in allen Gliedern zuckt. Und aus diesem Verfahren ergibt sich die angenehme Schlußfolgerung: Du sollst nicht langweilig seinl Die besten Jazzkünstler sind nie langatmig; in ihrer bewundernswerten und welt männischen Kürze gemahnen sie beinahe an das französische 18. Jahrhundert. Aber Bluff ist eine entscheidende Beimischung. Ein geschickter Jazzkünstler wird es darauf anlegen — und das regelmäßig — sei es in Tonsetzungen oder 557