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VERDRÄNGUNG, SEXUALITÄT UND REKLAME Vo n Prof. Dr. R.ALLENDY A us der Wissenschaft von den unbewußten Vorgängen, so wie die psycho analytische Praxis sie enthüllt hat, läßt sich gut manche praktische Nutz anwendung ziehen. Nach dem Beispiel Freuds bemüht sich die Mehrzahl der Psychoanalytiker, die Folgerungen ihrer Lehre weit über das therapeutische Vorgehen hinaus zu erweitern. Ich möchte die pragmatische Bedeutung dieser Kenntnisse betonen, denn, immer vom besonderen Fall ausgehend, vom Kon kreten, nicht von intellektuellen Abstraktionen, hat unsere Psychologie eminent an praktischem Wert gewonnen, eine Tatsache, die Georges Politzer in ihrer ganzen Neuartigkeit in der „Entwicklung der Psychologie“ unterstreicht. Von diesem Gesichtspunkt aus schien mir die Reklame eines der interessantesten Gebiete, erstens, weil sie bisher einzig und allein den Erfahrungen ihres jeweiligen Schöpfers oder seiner persönlichen Intuition ausgeliefert war (erst seit ganz kurzem hat man versucht, gewisse Gesetze daraus abzuleiten), zweitens, weil sie wunderbar Gelegenheit bietet, die Massenpsyche zu studieren. Man muß sidi klarmachen, daß die unbestreitbare Wirksamkeit der Reklame beweist, bis zu welchem Grade das Individuum sich in Benehmen und Ge schmacksäußerungen von unbewußten, ungreifbaren, ja absurden Triebfedern leiten läßt. Ich habe eine alte Bäuerin gekannt, die, beeindruckt von einer imposanten Reklame, dahin gelangt war zu glauben, daß gewisse Kräuter- Teesorten, die übrigens als verdauungsfördernd angepriesen wurden, sie von ihrem Kropf befreit hätten. Das ist ein schönes Beispiel für die Suggestivkraft der Reklame. Die Reklame geht so vor sich, daß sie in der Psyche des Indivi duums eine Vorstellung einwurzeln läßt, die zur Triebfeder eines bestimmten Verhaltens wird, sofern überhaupt eine Vorstellung zu einer Handlung führt. Früher beschränkte man sich darauf, den Namen eines Produkts oder einer Firma in großen Buchstaben hinzuschreiben, wie um das Publikum zu zwingen, im Augenblick des Einkaufs daran zu denken; das war das zwischen Information und Suggestion stehende Verfahren. Es ist nun interessant, festzustellen, wie die Erfahrung, vielleicht auch andere Umstände, von denen wir gleich sprechen werden, die Reklame dahin geführt hat, die Mittel zu wechseln und zu gefühls mäßig betonten Faktoren zu greifen, um die große Masse anzurühren: die Schönheit eines jungen Mädchens, das eine bestimmte Seife benutzt; das ehr würdige Gesicht eines Priesters, der einen medizinischen Tee verkauft, um damit die religiösen Gefühle mit dem Wunsch zu heilen zu verquicken usw. Da die Reklame mit der Zeit ungeheuer angewachsen ist, mußte man, angesichts der Konkurrenz, versuchen, jede gewünschte Vorstellung durch In tensität und Wiederholung der Reize hervorzurufen. Dabei ist zu bemerken, daß unter ailen Möglichkeiten das Bild eine vorherrschende Bedeutung gewonnen hat, vom Schaufenster bis zum Plakat und Kino; davon sei hier besonders die Rede. Man hat vergrößert und vermehrt: man ist dazu gelangt, Plakate groß