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HINTER DEM KRIEG Von VLAMIN CK D er Vater Antoine Mahler hatte extrem linksgerichtete Ansichten.'Im Dorfe und der Umgegend kannte jeder den Pere Mahler. Die Konservativen und Liberalen sagten, wenn sie von ihm sprachen: der Vater Mahler und seine Redens arten ! Er gab zur Zeit der Wahlen, wenn es sich darum handelte, den Gemeinde oder Bezirksrat oder gar den Abgeordneten zu wählen, seiner Überzeugung heftig Ausdruck. Er zapfte seine politischen Gegner in den Läden am Kälber markt an und hatte mit ihnen Auseinandersetzungen, die stets aufhörten, ohne wirklich beendet zu sein. Trotzdem war er nicht schlecht angesehen, denn im Grunde seines Wesens galt er als ein guter Mensch. Die Bauern maßen seinen Aussprüchen keine besondere Wichtigkeit bei. Sie hielten ihn im großen und ganzen für ein etwas verrücktes Original. Eines schönen Morgens, im September 1914, kam der Vater Mahler auf den Kälbermarkt und führte ein Pferd am Zügel. Viele Pächter und andere Leute der Umgegend trafen dort zusammen. Manche brachten ein Pferd, andere zwei oder drei. Ein Offizier hatte eine Liste in der Hand und zeichnete Namen und Beruf der Betreffenden an. Es war ein Remontenoffizier, der mit der Pferderequisition für die Armee betraut war. Zwei Tierärzte begleiteten ihn. Der Vater Mahler machte ein düsteres Gesicht und antwortete nur kurz auf die Grüße: „Nun, guten Tag, Mahler! Geht’s gut heute morgen?“ Nein, es ging nicht gut. Sein Sohn war wieder zum Regiment abgereist, und darüber war er bekümmert. Der Offizier, die beiden Veterinäre näherten sich seinem Pferde. Sie unter suchten es, ließen es im Schritt gehen und traben, schauten ihm ins Maul. Zufrie den mit dem Zustand des Tieres, fing der Offizier eine Unterhaltung an über den Preis, den man auf den Aushebungsgutschein schreiben sollte. „Ich will kein Geld. Ich will nichts davon hören“, sagte der Vater Mahler. „Mein Pferd! . . . ich geb’ es hin.“ Die Menge sammelte sich um den Biedermann. Alle glaubten, falsch verstanden zu haben. „Davon ist keine Rede“, sagte der Offizier, „Ihr Pferd ist achtzehnhundert Franken und keinen Sous weniger wert!“ „Ich sage Ihnen ja, daß ich nichts dafür will. Begreifen Sie das nicht? Ich will kein Geld . . . Ich verstehe nicht, daß man mir den Sohn nimmt, und das Pferd bezahlt . . . Man soll das Pferd auch nehmen. So denke ich, ich, Antoine Mahler!“ Er sprach diese letzten Worte mit Kraft, und seine Stimme bebte vor Zorn. Diesmal ging Mahlers Gerede zu weit. Die Leute sahen sich an, und ein Ge murmel entstand unter den Bauern. „Halt dein Maul, Mahler! Wenn du nicht aufhörst mit deinem Sch . . .“ Aber Mahler ging schon weg, ließ Pferd und Gutschein zurück. Das war ein Aufruhr. Die Zungen spritzten Gift. 778