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ja auch gemeinhin die Attribute. Mit der Aufstellung symbolischer Persönlichkeiten aber sind viel erzieherische Momente ver bunden. Man soll sich was dabei denken. Keine Kunst ist so naturnah wie die Bildhauerei. Sie trifft der Realität mit jedem Fußnagel auf den Kopf, sozusagen. Galvano plastische Herstellung von Lebewesen, will es scheinen, Zeitgenossen und Zeitgenos sinnen in Gips abgenommen. Jede Ärmel falte, jeder Stiefelabsatz an dem natürlichen Ort in Alabaster, Marmor oder Bronze, je nach Preis. Die Bildhauerei ist das Kino unter den bildenden Künsten. Es wird schon seine Richtigkeit haben, daß die berühmten Landsleute auf Sockeln stehen, auch wenn man nicht weiß, wie sie hinaufgekommen sind. Es wird schon einen Sinn haben, daß zu ihren Füßen Frauenzimmer in ärmlichem Kostüm ihnen Palmenblätter, Ölzweige, Lorbeer, Papierrollen oder sonstige Spiel sachen zum Kauf anbieten. Keine hat bis zur Stunde ihre Ware abgesetzt. Unentwegt blicken die Nationalheroen in das eigens für sie angepflanzte Grün. Sie erfüllen durchaus ihren Zweck, die öffentlichen An lagen zu schmücken. Sie werden innerlich nicht zu Wohnzwecken vermietet, und sie haben keine Konkurrenz zu befürchten, deshalb kratzt man sie auch nicht ab. Denn wir leben im Zeitalter der Sachlichkeit. Ein Stuhl ist zum Sitzen da, stop, ein Bett zum Schlafen, stop, ein Buch zum Lesen, stop, und eine Fassade, um Lichtreklameflächen zu vermieten. Das ist Raumersparnis und Raumausnutzung. Und wer das nächtliche Straßenbild von Berlin kennt, dankt seinem Schöpfer für die abgekratzten Puppen. Diese glatten Flächen beschönigen und verdecken nichts mehr, es sind keine Potemkinschen Dörfer, sondern wahrheitsgetreue Kon statierung eines nüchtern denkenden und kalkulierenden Volkes, ohne blasse Ideale. Hinter diesen platten Flächen werden Briefe im Geschäftsstil diktiert, Schreibmaschine geschrieben. Es werden Abschlüsse getätigt und Warenproben vorgelegt, Zahlungen und Schulden werden gebucht, und die ach so beliebten Binnenbriefe werden hier verfaßt. Börsenberichte werden hier gelesen und per Telefon realisiert. Hinter den Blechdamen und Stuckputtis waren Schwächlinge noch versucht, einen Vers zu riskieren und die Miete schuldig zu bleiben, wofür wenig Interesse vorliegt. Jetzt aber sind dieselben Geister Journalisten geworden, denen Honorar gezahlt wird. Womit ich mir gleichzeitig gestatte, Rechnung beizufügen . . . George Grosz 775