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EINEN MONAT KINOBESITZER Von HARRY DOMBLA A lso es ist unbestreitbar, die Bäume sind noch ganz grün, die Sonne scheint noch ganz warm — aber es ist unwiderruflich Herbst, was dir Berlin weniger durch das Aussehen der Natur als durch den Beginn der Saison beweist. Pre mieren, Premieren! Ich startete die Premiere meines Berliner Volkskinos — Außenseiter, der ich nun mal bin — schon vor mehr als einem Monat. Mitten im Sommer, bei der größten Hitze, promenierten am Eröffnungsabend auf der als Foyer dienenden Rostocker Straße meine „Premierenbesucher“, die sich merk würdig und amüsant mischten aus echtester Rostocker Straße und „Zugereisten“. Eine Menge Journalisten, Herren, Damen, Neugierige aus dem Westen, alle hatten sie noch keinen Platz gefunden, so voll war’s. Ich habe mich weiß Gott über die Geduld dieser „Westler“ gewundert, die bis spät in der Nacht auf der Straße ausharrten, bis sie endlich einen Platz fanden. Während drin mein großes Prinzen-Abenteuer über die Leinwand lief, wurde ich draußen immer wieder von Zeitungsleuten zu sprechen verlangt, auch aus der Provinz und sogar aus — du ahnst es nicht — Kopenhagen. Immerhin war doch wohl nicht so viel Sensation herauszuholen, wie eine mir etwas konfus erscheinende hauptstädtische Journali stin zu hoffen schien, die mich schon tagelang vorher nervös gemacht hatte und nun am Abend — wie der Phönix aus der Asche hatte sie sich ins Schwarzseidene verwandelt — irgend etwas großes „Offizielles“ zu erwarten schien. Ich hätte ihr die Sensation, nach der sie hungerte, gern als Nachfeier serviert und hatte sie hierfür in die „Goldelse“ eingeladen. (Für diejenigen, die nicht wissen, was die „Goldelse“ ist, sei gesagt, daß hier die ganz Vorurteilslosen und Gesetzlosen, die sogenannte „Unterwelt“, ihre fröhlichen und sehr unbekümmerten Rendezvous abhalten, wobei sie gar kein Verständnis für das „sachliche Interesse“ von Außen stehenden haben.) Aber meine Journalistin hatte inzwischen Erkundigungen ein gezogen, und so mußte sie leider, wie sie sagte, zu Hause ein Telefongespräch er warten. Schade. Auch Dr. Hans Heinz Ewers „promenierte“, er war skeptisch, ich nicht. Denn es ist meine Art, den Erfolg oder Gewinn einer Unternehmung weniger vom ge schäftlichen Standpunkt als von dem der Erlebnismöglichkeit aus zu sehen. Und da muß ich schon sagen, es sind eine Menge komischer, rührend komischer und menschlich schöner Kleinepisoden, die mich seither mit meinen „Rostockern“ verbinden, anmutig immer wieder unterbrochen von merkwürdigen Besuchen ,,Außerhalbscher . Von den „Rostockern“ weiß ich, in welchem Hause sie wohnen, wieviel Kinder da sind, ich kenne den Großvater oder die Großmutter, die schon eine und dreiviertel Stunden vorher im Kino sitzt und mir erzählt, daß es ja egal sei, ob sie nun hier oder zu Hause säße, Licht habe sie da auch keins. Ich weiß, wie lange dieser oder jener schon arbeitslos ist, und daß die Else heute einen Ausflug macht und erst später kommt. Das kleine Mädchen in der Nachmittags- 2 771