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Andreas Achenbach, Künstlerfries im „Malkasten“ zu Düsseldorf BERLINER KARNEVAL VOR FÜNFZIG JAHREN Von LUDWIG PIETSCH (Vossiscbc Zeitung 23. Fcbruai 1873) A uf dem großen Künstler-Karnevalsfest jedes Jahres sind seine Besucher versucht gewesen, sich zu sagen, daß dies letzte das schönste war und von keinem künftigen mehr übertroffen werden könnte. Und doch sahen wir sie alle mitsammen weitaus durch das diesmalige überboten, wie glänzende Erinne rungen auch die vorangegangenen hinterlassen haben mochten. Vom feierlichen Ernst und dem hochpoetischen Stil des vorjährigen Festes sollte diesmal gänzlich abgegangen und mehr wie jemals sonst die Menge der Gäste selbst zum Mitspielen aus der bloß genießenden Zuschauerrolle hinein gezogen werden. Zu diesem Zweck erklärte man kurz und gut den Saal des Konzerthauses zum Markusplatz und das Fest, in seinem ersten Teil wenigstens, als Karneval von Venedig. Der Eintretende, welcher die doppelte Prüfung seiner Karte durch den Türhüter und seiner Person durch die grimmen Landsknechte bestanden hatte, denen hart an der Türe ihre Wacht- und Zechstube eingerichtet war, sah sich durch die geschickte und phantasiereiche Dekoration des Saales in eine völlig poetische und zugleich an die schönste ferne Wirklichkeit anklingende Welt versetzt. Unterhalb der Decke hingen von einer Decke zur anderen seines weiten Raumes schwere üppige Kränze, aus lebendigem Grün und phantastischen Blumen gebunden, hinüber. Dort aber, am Ostende des Saales, wo sich sonst die Orchesternische zeigt, bot sich ein herrlicher Anblick. Vom Saal aus stieg dort die echte leibhaftige Riesentreppe des Dogenpalastes aufwärts mit den beiden Marmorgiganten auf ihren oberen Wangenpfeilern. Oben aber zeigte sich eine reiche Bogenarchitektur, nud zwischen den Pfeilern derselben sah man mehr in der Tiefe die Löwensäule der Piazetta aufragen in die blaue Frühlingsluft, und weithin zum Horizont die silberbläuliche Flut der Lagune schimmern, aus der sich, wie in den zarten Duft des schönsten venezianischen Apriltages gehüllt, die wundervolle Silhouette von San Giorgio Maggiore erhob. Aber all diesen lockenden Schauspielen wurde die gefährlichste Konkurrenz durch die von 7 Uhr an massenhaft in den Saal einströmenden Festgenossen 126