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Sie die Kapseln für Ihren Katalog, sind die Kapseln ein neues Patent? Erklären Sie doch, bitte, den Mechanismus.“ Die Antiquare zerfallen, soviel ich sehe, in zwei aufs strengste voneinander geschiedene Gruppen. Die einen triumphieren: „Das haben Sie bei mir gekauft“, um dann zu stöhnen: „Aber viel zu billig habe ich es Ihnen gelassen“, und die anderen sagen gar nichts, sondern ziehen das Notizbuch heraus und notieren sich, was sie nicht sehen, um zur Schließung der Lücken am nächsten Tage eine Offerte freibleibend ins Haus zu schicken. Die Sammler sehen sich entweder nur die Bücher an, von denen sie ebenfalls ein Exemplar besitzen. „Das habe ich auch, aber natürlich in Ganzleder und mit breiterem Rand“, und möglichst beiläufig: „Ich habe es in einer Leihbibliothek für fünfzig Pfennig gekauft. Nicht teuer, was?“ Oder aber sie sehen nur die Stücke, die sie selbst noch nicht besitzen, und je nach Temperament werden sie blaß, zynisch oder aggressiv. Aber die Sammler von der Nachbarfakultät verachten alles in Bausch und Bogen, und um den sie führenden Kollegen über diese Verachtung hinwegzutäuschen, ergehen sie sich in eingehen den Schilderungen ihrer eigenen Sammlung, die wie eine Fata Morgana am Horizont einer trostlosen Wüste aufleuchtet. Am leichtesten machen es sich die Enthusiasten, denn für sie ist alles fabelhaft oder herrlich, und dann gehen sie zu einem Thema über, das ihnen besser hegt. Da war neulich eine Dame bei mir, die fiel von einem Paroxysmus in den anderen. „Nein, das ist ja unbeschreiblich. Noch mehr Bücher? Das habe ich nicht für möglich gehalten. Und noch ein Schrank und noch ein Zimmer: Unglaub lich!!! Und immer mehr . . . Das ist bei Ihnen — wirklich wunderschön, diese vielen Bücher, sooo schön“ — und sie suchte nach dem rich tigen Wort -— „wie in einer Buchhandlung.“ Der wahre Kenner und Liebhaber aber versucht, sich die Idee einer Samm lung, wenn sie eine Idee hat, klar zu machen, immer lernend (denn aus jeder Sammlung kann er lernen, wenn auch manchmal nur, wie er es nicht machen wird). Er nimmt ab und zu ein Buch aus dem Regal, streichelt es mit vor sichtigen Fingerspitzen und, nachdem er es angeblättert hat, stellt er es wieder fast zärtlich an seinen Platz. Wenn er etwas zu sagen hat, so gibt er scheinbar trocken eine sachliche Anmerkung, aber er hat auch den Mut, zu schweigen, wo er liebt und vermöge seiner Liebe den geliebten Gegenstand vielleicht realer besitzt als der Besitzer selbst, der jetzt seinerseits ins Reden gerät, statt an das Sprichwort zu denken, das er sich immer gegenwärtig halten sollte, weil er es zu selten beherzigt: „On ne parle pas du lit.“ H. Bieling 125