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In Genf und Umgebung gibt es fünf bis sechs ausgezeichnete Restaurants, wo ungefähr so gut gegessen wird wie in französischen Provinzstädten. Die meisten wurden von Peycelon, dem Vertrauensmann Briands, und von dem Matinredakteur Sauerwein entdeckt. Die Entdeckung von Thoiry kommt auf das Konto eines dritten Weinkenners, des spanischen Botschafters Don Jose Quinones de Leon, den jetzt die Politik seines Landes zu seinem Leidwesen von Genf fernhält; sie wird ihm aber durch den Leiter des Internationalen Arbeitsamtes Albert Thomas streitig gemacht. Als Thomas 1916 zum Mit glied des Kriegskabinetts ernannt wurde, hatte er einen Major der Artillerie als Ordonnanzoffizier zu sich berufen, der ein Sohn des Gastwirtes zu Thoiry war. So kommen die verborgenen Zusammenhänge im Krieg und Frieden allmählich zutage. Stresemann wurde von Briand nach Thoiry gebracht: er hat sich in die übrigen guten Kneipen noch nicht gewagt. Er hat in Genf noch viel zu lernen. Von den Deutschen haben die Franzosen wiederum manches gelernt, zum Beispiel das Biertrinken in der Bavariabrauerei an der Rue du Rhone. Diese rauch- und geräuschvolle Bierschänke wimmelt allabendlich von Gästen aus beiden Ländern, die sich in der schweren Kunst der kommentmäßigen Ver ständigung üben. Da sitzen Tisch an Tisch Stresemann und Albert Thomas, Graf Clauzel im Frack gegenüber dem blonden Freiherrn von Rheinbaben, Paul-Boncour neben Prälat Kaas, und Louise Weiß, die Herausgeberin der „Europe Nouvelle“ im Gespräch mit Breitscheid und seinem im Arbeitsamt tätigen, bildhübschen Sohn, der so frisch und verträumt aussieht, als ob er direkt aus einem Märchen von Eichendorff käme. Da gleiten wir aber schon von der Betrachtung der Szenerie in das Schauspiel: dies ein andres Mal, wenn es euch nicht langweilt. ERINNERUNGEN AN DADA Von TRISTAN TZARA E nde 1919 kehrte ich nach einer langen Abwesenheit aus dem Kriege nach Paris zurück, sehr froh, meine Freunde wiederzusehen. An der Seite von Aragon, Breton, Dermee, Eluard, Ribemont-Dessaignes, Picabia, Peret, Soupault, Rigatit, Marguerite Buffet und anderen nahm ich an den Manifestationen teil, die den Zorn des Pariser Publikums entfesselten. Das Debüt des Dadaismus in Paris fand am 23. Januar auf der von der Zeitschrift „Litterature“ ver anstalteten Matinee statt. Louis Aragon, ein magerer junger Mann mit femininen Gesichtszügen, Andre Breton, der in seinen Gesten die Wundmale der religiösen Sektierer hat, die es zu nichts gebracht haben, Ribemont-Dessaignes, ein Mann von einfachem Aeußeren, der aber das hitzige Temperament der großen An kläger der Menschheit in sich trägt, Philippe Soupault, ein Ausdrucksgewaltiger, dessen Rede in bizarren Bildern abrollt, lasen ihre Werke, Picabia, der den Einfluß so vieler, insbesondere des starken und klaren Geistes Marcel Duchamps auf sich hat wirken lassen, zeigte Bilder, darunter eines mit Kreide auf einer schwarzen Tafel gezeichnet, das auf der Szene wieder weggewischt wurde.