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Im Wien der Franz-Joseph-Zeit nannte man solche Gestalten „Engerln“. Ein Engerl, das ist ein liebes, rundes Vorstadtgesicht, ein ums Haupt gefloch tener Zopf, ein Gietchenschoß solid bürgerlicher Formung und dazu ein hauch zartes, weißes Kleid, wie aus Johann Straußschen Walzerblüten gewebt. Diese drei Engerln waren nicht mehr ganz jung; oder vielmehr sie waren es, aber ihr Teint zeigte durch Puderbelag und Schminke hindurch jene Pickel, die das Zeichen der Wohlanständigkeit, Mühe und sozialen Gesichertheit sind. Ihre Körper waren bürgerlich, ohne Leichtigkeit, ihre Mienen gleichgültig und in dem Kußhändchenlächeln erstarrt, woran die Balletteusen alter Schule erkennbar sind. Drei Telephonistinnen im Flügelkleide. Es war ein Terzett aus dem k. k. Hofopernballett. Das Donauwellen-Trio. Attraktion für Spießer, Tanzreaktionäre, Jazzgegner und alle jene, die beim Donauwalzer demonstrativ applaudierend aufstehen, als handle sich’s um ein „Heil dir im Siegerkranz!“ der Rhythmik. Gut, aber was wollte der pfiffige Nachtdirektor mit ihnen? . . . Die Drei hielten beim Hereinfliegen und Hinausstürmen von den Kolle ginnen— die doch nur die Kunst des Nachtlokals vertraten und keine Schule, kein Staatsinstitut, keine Tradition, ja nicht einmal pensionsberechtigt waren -— auffällig Distanz; sie scheuten, in sich ruhend wie ein frisch aufgetragener Pudding, ihre Berührung. Das „k. k.“ war ihnen auf Stirn und Leib geschrieben. Zwar gibt es, einer Wiener Versicherung zufolge, „ka kaka mehr“. Aber es gibt. Es gibt eine Würde Staatsangestellter, altersversicherter Kunst, die sich als Spätblüte ver gangener Kulturen bezeichnet. Ich sah durch die weißen Spitzenhüllen durch — nein, nichts, was des Hinsehens wert war —, sondern den Dünkel des gesichtlosen Burgtheatermitglieds, das sich gegen eine künstlerische Nachbar schaft Moissis, Bassermanns, Pallenbergs verwahrt. Ich sah den Staatsbeamten, der auf den Bankbeamten herabblickt.. Ich sah die Aktivitätszulage, die sich als Zeitwert gebärdet. Doch so oder so — Engerln waren es>. Sinnbilder jenes zuckersüßen, mittel ständisch-molligen Schönheitsideals, das in dieser Zeit, wo die Politik sich auch der Erotik bemächtigt, die aufrecht und sittlich Gesinnten gegen den Aus wuchs von Bubikopf, Schlankheit und Charleston ins Treffen führen. Da sah man sie also, deren Mütter und Ahnfrauen einst als „süße Mädeln“ Anatols windelweiches Herz umfingen, durch Vorhangluken nach ehetauglichen Grafen und Fürsten Ausschau hielten und in straff sitzenden Husarenhosen, denen man wegen ihrer Eignung, die verheerenden Folgen des Mehlspeisgenusses sicht bar werden zu lassen, den Beinamen „fesch“ verlieh, gymnasiastische Sinne umgaukelten. Gerechterweise denk’ ich: diese Mütter waren jünger, sie wußten noch nicht viel von den Worten: Rhythmus, Geist des Muskels, Melodie des Leibes, machten sich betreffs der Ausübung ihres Berufes kein ästhetisches X für ein sinnliches U vor und ahnten, daß dem Herrn Erzherzog in seiner Loge weniger an der Sichtbarwerdung von Weltanschauung durch das Medium des Tanzes als an anderen Anblicken gelegen sei. Sie waren sozusagen die Makart-Ausgabe der Revue-Girls. Die Töchter aber, als Erb- 2 97