Volltext Seite (XML)
der Bejahung (sein großes „Ja“!) und des Tuns. In Wirklichkeit ging sein Vorschlag an das Volk dahin, daß es dem Prozeß, den man der Illusion durch Prüfung und Katalogisierung der Sinne machte, den Rücken kehren und wieder zurücktauchen solle in Unwissenheit — oder die Welt als Wille und Vor stellung. Schopenhauers Pessimismus war der Pessimismus des Denkens und des Wissens. Tun — und der Wille zum Tun —• war durch ihn notwendig paralysiert. Nietzsche wünschte also gegen Denken und Intellekt das Tun mit all seiner unschuldigen Leichtherzigkeit, Unwissenheit und Oberflächlich keit aufzurichten. Er glaubte ebensosehr an die rohe, undifferenzierte Aktion wie die Haltungsmenschen von heute, nur war es bei ihm emotionelles Tun, während es bei den Haltungsmenschen unemotionell ist, also „Haltung“. Da gegen war in der Tat sein „Wille zur Macht“ nicht eine für ihn so fundamen tale Lehre wie die, welche wir „Wille zum Tun“ nennen könnten, und sein Wille zur Vorstellung war basiert auf die (durch lange und viele nähere und fernere philosophische Vorgänge propagierte) Theorie der „Fälschung“. Der Unterschied zwischen der lyrischen Strategie Nietzsches — verzweifelt wie sie war — und der Defensivstrategie des mondänen Typs war der, daß Nietzsche den Ueberschuß erkannte, weil er ihn natürlich — der aus dem Darwinschen „Kampf um das Dasein“ übriggeblieben war — in seinem eigenen Organismus spürte. Er dachte, Darwins „Kampf um das Dasein“, sein mecha nisch gestempelter Evolutionismus war zu verkommen, utilitaristisch und geist los. Für ihn gab es in diesem Kampf eine Grenze, die Anlaß gab, ihm mehr den Charakter eines Kampfes um etwas an den Grenzen Liegendes, den Kampf um ein Mehr und Darüber, um einen Mehrwert beizumessen. Und dies be- zeichnete er als den „Willen zur Macht“. In dieser Idee eines Energie-Ueberflusses, der den kämpfenden Organis mus befähigt, über bloße Zerstörung hinaus höher als zu einem Gleich gewichtszustand oder Kräfteausgleich zu zielen, gab es eine wohltuende Gegen ständlichkeit, die nur durch Eines, aber ein Wesentliches, verdorben wurde. Bevor er zu dieser heroischen Entscheidung gekommen war, hatte er sich so sehr an die Idee eines wütenden Zweckkampfes gewöhnt, daß alles, was er selbst mit seiner überflüssigen, schöpferischen Energie tat oder anderen zu tun riet, dies war, sich weiter zu schlagen und zu kämpfen: so, ob als sie, um es kurz zu sagen, mit einem Ueberschuß für Spiel oder überhaupt einem Energie überschuß nicht bedacht worden wären. Jede Kritik Nietzsches muß an dieser Stelle einsetzen, der Stelle, wo er empfiehlt, diesen Energieüberschuß anzuwenden und zu verwerten, indem man fortfahren solle, dasselbe zu tun, was man ohne ihn tun würde. Und sein Wille fordert, dieses köstliche Mehr denselben Zwecken dienstbar zu machen, für die viele seiner niedrigsten Heloten sie anwenden würden. Er war so durch drungen von dem Pessimismus Schopenhauers, und seine Gesundheit war durch seine Erlebnisse in dem französisch-preußischen Krieg so erschüttert, daß er sich tatsächlich keinen Verstand vorstellen konnte, der mit sich selbst etwas anderes anzufangen wußte, als was er in dem Nach-Darwinschen oder -Schopen- hauerschen Pessimismus getan hatte: nichts anderes tun als fortzufahren in der Betrachtung der Schrecken des Daseins. Und in der Tat: der Wille zur 95