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Fledderer gelassen. Das war eine bittere Pille. Einer machte dem anderen Vorwürfe über seine Nachlässigkeit, und bald war die schönste Prügelei im Gange. Eine Spezialität war es auch, betrunkene Seeleute, die abgemustert hatten, zu fleddern und ihnen die Papiere zu ziehen und den Seesack, in dem sie ihre ganzen Habseligkeiten verwahrten. Mit den Papieren war ein großer Handel im Betrieb; ich weiß ein Büro, in dem sie einem dann mit Bildern, fix und fertig auf die Person, hergerichtet wurden, so daß der neue Inhaber ins Musterbuch aufgenommen werden konnte und bald hinausfuhr auf hohe See. Morgens um 5 Uhr kamen auch die Mädchen ohne Bleibe in die Kaschemme, einige mit ihrem Liebsten, soweit er nicht gerade verschütt gegangen war oder in der Kaschemme schlief. Beim Wirt gab es für 15 Pfennig einen Eimer warmes Wasser, ein Bröckchen Seife und ein Handtuch, zu fünf und sechs wuschen sie sich in so einem Eimer. Dann wurde der Kopf richtig durch gekämmt (oft auch gelaust) und dann mit heißen Haarnadeln der Bubikopf in Locken gebrannt, wodurch die bekannten ganz kleinen Löckchen entstehen, die als ganz besonders schick gelten. Nach der Toilette kaufen sich die Mädchen dann mit ihren erliebten oder gefledderten Groschen einen Grog und warten, bis die Herren Liebsten dreckig und speckig vom Schlafen in die Gaststube heraufkommen. Noch in Hemdsärmeln nehmen diese dann das Geld in Empfang, und wenn keines mehr da ist, setzt es gleich an Ort und Stelle eine tüchtige Tracht Keile. Keinem fällt es ein, sich in diese Privatunterhaltungen ein zumengen. Kam ein Gast in die Wirtschaft, so wurde er von 2 bis 3 Leuten umlagert und aufgefordert, einen auszugeben. Unterdessen wurden seine Taschen auf ihren Inhalt geprüft. Wenn es dabei gelang, eine anständige Marie zu pusten, das heißt, ordentlich Geld zu stehlen, so gab es immer ein großes Fest. Irgend wie wurde der Bestohlene aus dem Lokal gedrängelt und dann das ganze Geld an der Theke in Grog angelegt. Von Zeit zu Zeit war natürlich Razzia von der Kriminal oder der Sitte. Dann verschwanden immer eine ganze Menge Stammgäste für längere Zeit. Manchmal hatte die Polente freilich kein Glück. Wenn der Schmieresteher rechtzeitig Wind bekam, rückte alles aus und war bei der günstigen Lage der Kneipe 50 Schritt weit schon über die Grenze des Hamburger Gebietes hinaus, wo die Hamburger Bullen nur das Nachsehen hatten. Noch einmal versuchte ich es, nach Amerika zu gelangen. Ich verschaffte mir einen Hafenausweis und schlich auf ein Schiff, das am Petersenkai lag. Als das Schiff am anderen Tag den Hafen verließ, lag ich noch immer unentdeckt im Kohlenbunker. Nach drei Tagen trieb mich der Hunger aus meinem Ver steck heraus; ich wurde dem Kapitän vorgeführt und bekam einen ordentlichen Rüffel — dann aber in der Mannschaftsküche tüchtig zu futtern. Ich mußte Kohlen vor die Feuerlöcher fahren. Land habe ich in Amerika nicht betreten dürfen. Aber gesehen habe ich die Wolkenkratzer wenigstens; wie ein toter Wald schienen sie mir, viele Stämme ohne Aeste und Blätter. Nach sechs Tagen fuhren wir zurück nach Hamburg, wo das Kaschemmenleben von neuem anging.