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Wilhelm Wagner DER GOTHA Von KUR T FREIHERR ». R El BK 1 TZ F eudalismus. Er marschiert uicht, aber er hält sich, nicht nur als Museums stück, sondern auch als Macht, gesellschaftliche und wirtschaftliche. Wer ihn studieren will, gehe nach Stettin oder Königsberg in die großen Biiro- häuser des Landhundes oder lasse sich in die Gutshäuser des kleinen ost- elbischen Landadels einladen. Denn die vom grollen Adel, die Hatzfeldt, Henckel, Lichnowsky, um nur einige Namen zu nennen, haben zuviel von der Welt gesehen, waren zu oft in England und auf weiten Reisen, um sich gegen eine natürliche Evolution zu stemmen. Feudalismus. ln preulfisch Berlin und was so herumliegt, gibt es nur Ausschnitte: die Bälle im Potsdamer Casino in der Waisenstralle (ein sehens werter Schinkelbau), auf denen sich alle Hofschranzen und blaues Tuch von ehemals als Abwicklungsstelle der Berliner Hofgesellschaft zusammenfinden, der sogenannte Herrenklub im Kurmärkerhaus in der Vol.lstral.le — hier ver sammeln sich die Intellektuellen des Adels, um mit einigen bürgerlichen Ge lehrten und getauften GoLibankdirektoren als Konzessionsschulzen in Geist zu machen — und endlich die Tanzfeste der Deutschen Adelsgenossenschaft, eine Vereinigung neuesten Briefadels, der gar kein oder nur sehr wenig blaues Blut hat, aber mit desto hellerer Begeisterung Altpreußens Adel markiert. Ausschnitte, Ausschnitte... Und doch gibt es einen Querschnitt durch all den Feudalismus, den echten mit Edelrost, den falschen in Stuck und Pappe, es ist der Gotha. Man kann auch Goitha sagen, das ist bezeichnender. Er bringt die ganze Umwelt deut schen Adels, und wer drin lesen kann, vor allem zwischen den Zeilen, findet jedes Jahr etwas Neues, Interessantes. Denn der Gotha, das ist nicht nur der Hofkalender, wie man das genealogische Taschenbuch der fürstlichen Häuser 73