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WM' DER VILLINGER NARRO Von MARIE ZABLER D er Narrenkönig- war frühzeitig zu Bett gegangen, während die vier anderen noch nebenan beim Wein saßen. Er hatte sich jede Störung ver beten, sich auf die Seite gelegt, die Decke über die Ohren gezogen und lag in seinem breiten Mackardbett wie ein aus der Ebene steigender massiver Hügel; denn er war wohlbeleibt. „Hans blieb do — Du weisch ja nit wie’s Wetter wird, ob’s regnet oder schneit, oder ob’s gut Wetter geit, Hans blieb do.“ Tagsüber hatten seine langen, etwas feldwebelhaft gestrafften Beine voll auf zu tun gehabt, seinen rundlichen Wamst vorwärtszustoßen. Er kämpfte heroisch gegen angestammte Fülle, schleuderte die Worte aus rundlich geschwellten Pausbacken, damit sie nicht im Fett stecken blieben, nahm sich immer wieder selbst an, doch manchmal vergebens, denn ehe man sich’s ver sah, lösten sich ihm mitten im Gespräch die Glieder und er war eingeschlafen. Heute hat er es besonders schwer gehabt, denn er mußte sein „Narrenhäs“, die alte Villinger Narrentracht, aus der Mottenkiste holen; eine Profanierung! — denn der eigentliche Villinger, der zur traditionellen Narrenzunft gehört, zeigt sein Häs nicht und zieht es erst an Fastnacht an. Nur seinen intimsten Freunden gibt er, wenn die Zeit kommt, das Geheimnis preis: „Heut gang i ins Häs!“ „Jetzt go i schlofe“ sagte er und war mit einem Ruck aus der Gesellschaft der Vier verschwunden, die ihn vergeblich baten, es anzuziehen! Nebenan lag das Häs. Das Schönste und Historischste des Kostüms ist die Larve: die „Scheme“, wie die Villinger sagen. Der Villinger ist stolz auf diese uralte Tradition, die bis zu dem Saturnalienfest der Römer und dem deutschen Ostarafest zurück geht; bei dem Ostarafest, der Austreibung des Winters, band man sich Larven vor, um Dämonen und böse Geister zu bannen. Diese Larven waren Fratzen, und in Villingen gibt’s noch einige spätmittelalterliche Häuser mit solchen Fratzen als Zierde, die der Villinger Narro „Surhebel“ nennt, wegen des säuerlichen Gesichtsausdrucks. Neben uns aber lag eine mit verzückt lächeln dem Gesicht, mit schön gedrechselten Wangen und Grübchen: eine Oelmüller- larve (so genannt nach dem Verfertiger), die sich seit 1800 von Familie zu Familie vererbt hatte. Das Narrohäs besteht aus Hose, Kittel und Kappe, darauf sind allerhand Figuren und Blumen gemalt, auf der Hose das „Gretle“ und das „Hänsele“ (Hansel, der die anderen hänselt und neckt). Eine Katze ist auch da, die den Aschermittwochkater vorstellt. Am Gesäß ist eine Geld büchse aufgemalt als Geldsch r, denn die Narretei ist kostspielig. Zwischendurch sind liebevoll allerhand Tulpen und Pfingstrosen gestreut als Vorboten des nahen Frühlings. Eine vielfach gefaltete mittelalterliche Hals krause, ein Fuchsschwanz an der Narrenkappe als Zeichen der Narrenfreiheit, wie bei den Hofnarren, ergänzen das wertvolle und sehr malerische Kostüm. Das Wichtigste aber sind die aus Bronze gegossenen Glocken, die in mehreren Reihen angebrachten Narrenschellen, die mit dem breiten Riemen bis zu 50 Pfund wiegen und die der Narro wie ein russisches Schlittenpferd um den Leib trägt. Je üppiger sie sind, um so vornehmer ist der Hansel, mit ihnen „strehlt“ er, 100