Wir entnehmen dem jüngst erschienenen Band der Propyläen-Kunstgeschichte "Die Kunst des 20. Jahrhunderts"den folgenden Abschnitt über den Spanier Juan Gris.
JUAN GRIS Von CARL EINSTEIN Wir entnehmen dem jüngst erschienenen Band der Propyläen-Kunstgeschichte „Die Kunst des 20. Jahrhunderts“ den folgenden Abschnitt über den Spanier Juan Gris. D as Werk des Juan Gris (geb. 1887 zu Madrid) ist nicht von den viel- taktigen Motoren seines Landsmannes Picasso gejagt, nicht von der Unruhe getrieben, die das Werk von Gestern verrät oder widerlegt, so daß öfters weniger von Entwicklung als vom Aufruhr gegen sich und die Kunst zu sprechen ist. Gris’ Arbeit ist von stillem Betrachten getragen, einem Willen, der Sicherung vor der Zufälligkeit des Objektes suchte, von Wahrnehmungen und Ueberlegungen, die den jungen Maler überredeten, daß man feste Regelmäßigkeit des Sehens nie von den Objekten herleiten könne. Die Jungen haben das Sehen über das zufällig Optische des Motivs erweitert, ein kon struktiv Imaginatives an seinen Beginn gesetzt. Die einen behaupten: hierdurch sei man in akademische Regel geraten —- die ändern: mit solcher Reflexion stehe Malerei am Ende; Optisches: ein gutes Motiv und griffige Technik; Meditation: ein Defekt, der die Malerei mindere oder zerstöre. Leitsatz dieser jungen Malerei ist: das Bild ist selb ständiger Bezirk mit eigenen Mitteln und eigener Schau; Bild ist nicht Schilderung, also sind die beschreiben den Mittel, die, in das Bild einbezogen, zuletzt es beherrschten, auszuschalten oder einzuschränken. Diese Maler haben das Sehen zweifellos erweitert und ihm Kräfte wieder- geschen'kt, die es in großen Zeiten der Malerei besessen hat. Form — ein anderes als Arrangement -— kommt nie vom Objekt her, bietet sich nicht im Motiv, sondern geschieht, zart sich abzeichnend oder stark heraufbrechend und herrschend, im Subjeikt; ein differenzierter seelischer Prozess, aus dem wir die Freiheit ziehen, Dinge zu wählen, anzupassen oder abzulehnen; die Breite dieses Prozesses übertrifft das „Urteil“, das Anpassung oder Ablehnen bereits getroffener Entscheidung ist. An der Peripherie der Anschauung lagern die Dinge, die man einpaßt oder ausschließt; aus praktischen, innerlich notwendigen Gründen wird man das imaginative Geschehen verdinglichen und damit sichtbar und allgemeinverständlich differenzieren; das Motiv wird Bindeglied zwischen sich isolierendem Subje.kt und allgemeinem Zustand sein; Juan Gris 2 273