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GEDANKEN RIQUETS Von ANATOLE FRANCE*) Riquet ist der Hund des beschaulichen und weisen Herrn Professor Bergeret, des Helden des „Anneau d’Amethyste“ und anderer Romane. 1. Die Menschen, die Tiere und die Steine werden größer, wenn sie näher kommen, und ganz enorm, wenn sie über mir sind. Ich nicht. Ich bleibe überall, wo ich bin, gleich groß. 2. Wenn der Herr mir unter dem Tisch seine Nahrung reicht, die er in seinen Mund stecken wird, so geschieht das, um mich in Versuchung zu führen und mich zu bestrafen, wenn ich der Versuchung unterliege, denn ich kann nicht glauben, daß er sich meinetwegen beraubt. 3. Der Geruch der Hunde ist köstlich. 4. Mein Herr hält mich warm, wenn ich hinter ihm in seinem Fauteuil liege. Und das kommt daher, daß er ein Gott ist. Vor dem Kamin ist auch eine warme Fliese. Diese Fliese ist göttlich. 5. Ich spreche, wenn ich will. Auch aus dem Munde des Herrn kommen Töne hervor, die Bedeutungen haben. Aber diese Bedeutungen sind weit weniger deutlich als die, die ich mit den Tönen meiner Stimme ausdrücke. In meinem Munde hat alles einen Sinn. In dem meines Herrn ist viel leerer Lärm. Es ist schwierig und notwendig, zu erraten, was der Herr denkt. 6. Essen ist gut. Gegessen haben ist besser. Denn der Feind, der auf der Lauer liegt, um einem das Essen fortzunehmen, ist schnell und voller Tücke. 7. Alles geht vorüber und löst sich ab. Ich allein bleibe. 8. Ich bin immer im Mittelpunkt von allem, und die Menschen, die Tiere und die Dinge sind, feindlich oder freundlich, rings um mich aufgestellt. 9. Man sieht im Schlaf Menschen, Hunde, Männer, Bäume, angenehme und schreckliche Formen. Und wenn man aufwacht, sind diese Formen ver schwunden. 10. Meditation: Ich liebe meinen Herrn Bergeret, weil er mächtig ist und zum Fürchten. 11. Eine Handlung, für die man geschlagen worden ist, ist eine schlechte Handlung. Eine Handlung, für die man Liebkosungen empfangen hat oder etwas zu essen, ist eine gute Handlung. 12. Wenn die Nacht sinkt, schleichen schädliche Mächte um das Haus. Ich belle, damit der Herr, gewarnt, sie verscheuche. 13. Gebet: O mein Herr Bergeret, Gott der Fleischnahrung, ich bete dich an. Schrecklicher, sei gepriesen! Sei gepriesen, freundlich Gesinnter! Ich krieche zu deinen Füßen, ich lecke dir die Hände! Du bist sehr groß und sehr schön, wenn du vor dem gedeckten Tisch üppige Fleischgerichte ver schlingst. Du bist sehr groß und sehr schön, wenn du aus einem kleinen Hölzchen die Flamme hervorzauberst und die Nacht in Tag verwandelst. *) Aus: „Crainquebille, Putois, Riquet et plusieurs autres r£cits profitables“ (Paris, Calmann- L^vy). 756