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68 Ich spielte wie ein Verrückter. Meine Kühnheiten gelangen, selbst meine Fehler verhalten mir zum Gewinn. Pi.uz P. verlor allein in dieser Nacht an mich 75 000 Franks. Gegen drei Uhr, nach dreimaligem Verlust, der mir ein Wink schien, nicht weiter zu spielen, ein dunkler Wink des Schicksalsgottcs, hob ich die Bank mit 130 000 Franks Gewinn auf. Und dann galt mein erster Gedanke der guten, der braven Alten, die ich feige, verächtlich feige bestohlen hatte. Ach du armes, altes Mütterchen, dachte ich, meinen Mantel über werfend, du bettelst oder du schläfst vielleicht noch an der niedrigen Haustür, ohne zu ahnen, daß du in einigen Augenblicken reich sein wirst, ja reich . . . Ich werde dir deinen Louis mit hohen, hohen Zinsen wiedergeben . . . Den Louis, den du besessen hast, ohne es zu wissen. Du wirst nie mehr betteln gehen, nie mehr. Du wirst ein hübsches, freundliches Zimmerchen haben mit sauberen, weißen Gardinen, du wirst nicht mehr frieren brauchen, du wirst dich satt essen ... Und du wirst glücklich leben, ohne Sorgen bis an dein Lebensende ... Du wirst ja sehen, Alte ... Und beglückt in dem Gedanken, zu beglücken, stürzte ich fort. . . Es war kälter geworden, auch hagelte es leicht... Ich ging atemlos an den Platz, wo ich die Bettlerin finden mußte. Halt! Hier saß sie doch unter dieser Haustür... Oder war es in der nächsten? — — _ Wo war sie nur? Ich kehrte um, durchlief die Straße noch einmal, fragte einige Pas santen, ob sie eine alte Frau mit einem dunklen, langen Tuch gesehen hätten. Schließlich fragte ich einen Schutzmann. Er glaubte vor einer Viertelstunde etwa eine alte Frau gesehen zu haben, aber er war dessen nicht sicher. Eine Stunde lang irrte ich in allen Nebenstraßen umher, doch vergebens. Und ich ging nach Haus, ganz benommen von dem Gedanken, meine Freude nicht mit ihr teilen zu können, mit ihr, der ich alles verdankte. Ich suchte sie am nächsten Abend, am übernächsten, die ganze Woche... Ich fragte bei allen Portiers, in allen Ladengeschäften jener Straße, doch erfolglos ... Ich habe die arme, alte Frau, der ich mein Vermögen verdanke, nicht wiedergefunden. Die 100 000 Franks, die ich am ersten November ge wonnen, erlaubten mir, mich an einigen gewinnbringenden Unter nehmungen zu beteiligen, — eine reiche Heirat einzugehen . . . Ich ließ den Louis der Alten unter Glas setzen und trage ihn als Berloque: er bleibt das Zeugnis einer ewigen Schuld . . . Es ist der einzige dunkle Punkt, der auf mein Glück gefallen ist, und ich kann das Berloque nie ohne Wehmut betrachten . . . (Autorisierte Übersetzung von Alice N c u m a n ti)