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grauen Tuch umhüllt waren. Das Herz wurde mir weich beim Anblick der armen Frau. Ich suchte in meinen Taschen kein Pfennig, in meinem Portemonnaie kein kleines Geld, nur Gold . . . Da — Aberglaube kam dem Mitleid zu Hilfe, nehme ich einen Louis aus der Börse und lasse ihn sanft in die offene Hand der Armen fallen. Dann ging ich schnell fort, erfreut im Gedanken an die große Ueber- raschung, die es der Armen bereiten würde, und überzeugt, ich sage es ohne Heuchelei, daß meine — gute Tat mir Glück bringen würde. — Ich trat im Klub ein und wandte mich schnurstracks dem Spielsaal zu . . . Ich fing zuerst klein an und gewann. Aber in zehn Minuten hatte ich alles verloren und keinen Pfennig mehr in der Tasche . . . ausgepreßt wie eine Zitrone! — Wirklich reizend! Ich nahm Hut und Stock und ging wütend fort, entschlossen, mit dem ersten besten, der mich auf der Straße schief ansehen würde, Händel zu suchen. Doch es kam nicht dazu, aus dem einfachen Grunde, weil die Straße menschenleer war. Menschenleer! Denn meine Bettlerin von vorhin konnte ich nicht als menschliches Wesen rechnen. Sie saß noch immer schlafend in gleicher Stellung da! Alte Schlafmütze, dachte ich mürrisch, du kannst so sitzen bis zum jüngsten Tag. Wenn ich bedenke, daß du meinen Louis für nichts und wieder nichts in der Hand hältst! Meinen Louis! Allerdings meinen Louis, und sie hatte noch keine Ahnung davon ... Sie hatte sich noch nicht gerührt. Und wenn man sich etwas über sie neigte, sah man etwas rundes, goldenes in ihrer Hand blitzen: den Louis. Da durchfuhr ein unwürdiger Gedanke meinen Kopf. .. Der Gedanke, der Alten den Louis wieder fortzunehmen, den Louis, den sie nicht ver dient hatte. Ich schwöre euch — ich kämpfte einige Augenblicke, die mir Stunden erschienen, gegen diesen abscheulichen Gedanken . . . Ich ging sogar weiter . . . Aber der Böse triumphierte. Geräuschlos schlich ich zu ihr heran. Sie schlief! Sie schlief fest... Ich sah mich rasch nach allen Seiten um. Niemand war da. Mit schreck lichem Herzklopfen, angehaltenem Atem, mit zitternder Hand griff ich nach dem Goldstück. Und ich floh wie ein Dieb . . . wie ein Dieb. Mit schwankenden Schritten, furchterregender Blässe ging ich wieder in den Klub . . . Einer meiner Bekannten fragte mich teilnahmsvoll, ob ich krank sei . . . Nein, danke, mir fehlt nichts! Ich sprach, ohne zu wissen, was ich sprach, wie im Fieber. Ich trat in den Spielsaal. Prinz P., ein guter, fabelhaft reicher Spieler, empfing mich lächelnd. Ich setzte den Louis — und gewann. Ich setzte ihn wieder und immer wieder, ich machte Paroli ... Ich hatte jetzt sechshundertvierzig Franks vor mir liegen. Ich gewann, gewann immer wieder.