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OTTO BRATTSKOVEN/KUNSTKRONIK DAS GESICHT DER DINGE. — GRENZEN DER TENDENZ KUNST. — EIN NEUER ZILLE. — YUNKERS. — KROP Einen schönen Namen bringt man aufs Tapet, um einer Ausstellung „Fotografie der Gegenwart 44 in der berliner Galerie Neumann-Nierendorf Gewicht zu verleihen: das Gesicht der Dinge. Man sieht eine internationale Bild-Kollektion, vom Folkwang- Museum zusammengebracht und auf eine bessere Geschäftsreise geschickt, dabei auch freundlich oder edel frisierte fotografische Porträts, mehr aber die sogenannte sachliche Apparatur. Also jene Aufnahmen, bei denen der Fotograf in logischer Parallelstellung mit der Kamera in Aktion tritt. Jene Arbeitsweise, wodurch die Beschau-Wissenschaft ungeheuer bereichert wird, von der Völkerkunde bis zur Flugaufnahme, vom Röntgen bild bis zur technischen Demonstration. Dazu schließlich die aus der Entwicklung der Fotografie resultierenden neuen Formversuche: Fotomontage, Fotogramme, Foto reklame. Der sich bietende Eindruck läßt an frappanter Wirkungsfülle nichts zu wünschen übrig, die heutige Welt mit den Dingen, von denen sie ausgefüllt wird, präsentiert sich vielfältig, von allen Seiten, von oben und unten, das Gesicht der Dinge ist Ereignis geworden. Die Frage nach der Distanz bleibt demgegenüber im Unge wissen. Muß man sie aufwerfen ? Der Augenschein zwingt dazu. Denn, wenn man auf das Wesentliche zurückgeht, erkennt man, daß wohl eine bewunderungswürdige Reichhaltigkeit, aber keine Tiefenführung, bestes Merkmal bildkünstlerischer Ema nationen, gewonnen ist. Auch nicht erreicht werden kann. Unbedingt dürfte das zu künftige künstlerische Schaffen von dieser Seite schärfstens befruchtet werden; der Prozeß allerdings ist erst im Werden, zu erzwingen ist er nicht, da jede organische Entwicklung ihren bestimmten Zeitablauf verlangt. Solcherart findet man auch eine Erklärung für die Leere jener Versuche, die, ausgedacht in pseudo-radikalen Werkstätten, einem zu billigen Dogma ihr Dasein verdanken. Jenem, daß die heutige Kunst nur möglich sei in Gleichordnung mit der technischen Sachbändigung. Ein mechanischer, kein organischer Anschluß. Ebenso gewichtlos und hypertrof wie die alten rührseligen Öldrucke. Tatsächlich nur die Kehrseite. Wenn die Lebensfragen, denen die Kunstwerke allein als Symbole beigeordnet sind, so einfach wären, dann hätte man im Gesellschaftsbefund nichts mehr zu bemängeln, das Rad der Weltgeschichte wäre nicht im Rollen, die einer unbedingt schöpferischen Konstellation entsprungenen bildkünstlerischen Symbole hätten nicht ihr zeitliches und zugleich überzeitliches Gewicht. Die Konsequenzen ließen sich beliebig detaillieren. Der Befund ist jedoch anders. Daher ruht er in der Sfäre des Bildkünstlerischen auf jenen Werten höheren oder minderen Grades, die das Zeitliche überdauert haben. Der Anlaß, Fürstengunst oder Bejahung der Maschine, war gewiß nicht das Mittel hierzu, es ist ein Mehr, ein mit Imponderabilien gesättigtes Vermögen, die Zeit so auszuloten und formhaft zu fixieren, daß Humus, Mensch, W elt und Umwelt weiterwirken, verständlich bleiben, daß die Schönheit dieser Gebilde eine direkte Sprache spricht. Wichtig allerdings bleibt ein sonderbares Spezifikum, Begnadung war der Titel vergangener Epochen, ein Etwas, das kaum verblüffend auftritt, und das niemals die Kamera selbst vom glücklichsten Standpunkt und ebensowenig die eilfertige Formulierung neuer Schaffens grundsätze mit entsprechenden Musterbeispielen erreichen wird. Metoden indessen, hierüber absolut zu entscheiden, gibt es nicht, Andeutungen müssen genügen. Dazu