HANS GEORG BRENNER JOSEF KALLINIKOW In den Jahrzehnten vor dem Krieg nahm die russische Literatur in Europa eine eigen artige Stellung ein: sie diente als Seelen nachspeise, als eine unkontrollierbare Ge fühlszugabe allen Denen, die die westeuro päischen Literaturen in ihr reales Bildungs programm einsetzten und damit einer ge sellschaftlichen Verpflichtung naehkamen. Daraus entwickelte sich in Deutschland eine Russen-Schwärmerei, die in den meisten Fällen jeder Ernsthaftigkeit ent behrte und der vorhandenen religiösen Sentimentalität ein neues Gewand und neuen Vorschub gab. Dostojewski und Tolstoj waren fast ausschließlich die Blick fänger für das „rätselhafte“’ Rußland und die Blickpunkte, von denen aus auch der Ernsthafte den „russischen Menschen“ be urteilte und — mißverstehen mußte. Weil es sich dort um Konflikte innerhalb einer ganz minimalen gesellschaftlichen Oberschicht handelte, um anstößige Außenseiter naturen und Abwegige, die sich mit den Lebensumständen nur auf dem Wege einer peinvollen Selbstvernichtung oder einer psychopatischen Auflösung in ein mystisch begriffenes All versöhnen konnten. Maxim Gorki kam der politischen Wirklichkeit näher. Seine gesellschaftliche Zuge hörigkeit bestimmte ein neues Stoffgebiet: das russische Volk in seiner normierten Armut wurde zur handelnden Person erhoben, wobei der Anfang eines organisierten Revolutionswillens die politisch-gesellschaftlichen Konfliktpunkte ergab. Gorki fard den Schritt von der individuell begrenzten Type zu einer grundlegenden Typisierung. Auf dieser veränderten Grundlage hielt sich aber auch Gorkis Prosa noch in den Grenzen eines leicht idealisierenden Realismus. Die Revolution schuf in dem russischen Stil eine einschneidende \\ andlung, deren scharf profiliertes Ergebnis z. T. heute erst zu Tage tritt. Diese Stilwandlung wurde nicht naturgemäß aus den politischen Ereignissen der Jahre 1917 19 resümiert, viel mehr zog man als Erklärung in Westeuropa wieder die Tolstojsclie Mytologie heran und versah sie noch mit einem Schuß „Dämonie“, weil die elementare Durchschlags kraft der Revolution selbst unerwartet und psychologisch wenig gerechtfertigt schien. Es fehlte in den literarischen Äußerungen der logische Übergang vom alten zum neuen Stil, vom Zaren-Untertan zum Sowjet-Bürger. Es fehlte ein wichtiges Glied in einer organischen Kette für Jeden, der den Russen aus seinem Literaturspiegel begreifen wollte. Dieses Bindeglied bildet nun Josef Kallinikows Kulturgemälde „Frauen und Mönche“ (Roman in zwei Bänden, deutsch von Wolfg. E. Groeger. H. Haessel Verlag, Leipzig). Kallinikow gelingt kein Roman im Sinne seiner realistischen Vorgänger. Er verzichtet JOSEF KALLINIKOW