Volltext Seite (XML)
DER INSPEKTOR ERZÄHLUNG VON ALFRED ENDLER Um 1970 starb die sechsundneunzigjährige Postoberoffizialstochter Jarmila Beroun keines ganz natürlichen Todes. Unmittelbare Ursache war ihr mißratener, etwa dreißig Jahre jüngerer Neffe Sandor Erdösz. Wie der Name zeigt, einer mongolischen Mesallianz des Hauses Beroun entstammend, doch leider in Böhmen heimatberechtigt und Jarmila auf der Tasche hegend. Der Neffe war nicht taub, doch stumm, und galt als schwachsinnig. Worüber sich streiten ließe. Tatsächlich bezog er, wie tausend andere gleicher Lage, keine Invahdenpension, wiewohl die Stummheit von einer Verschüttung des Jahres 17 kam. Die Tante unternahm Nichts um seine Pension, sie fürchtete sonst, ihre eigene nach dem Vater zu verheren. Und der Neffe fürchtete noch mit sechzig Jahren, erneut ausgemustert zu werden, wenn er sich rührte. Er schlief bis in den Nachmittag, er stahl und verbrannte Kaufmannsrechnungen, welche die Vermieterin Jarmila bei jeder Gelegenheit dem insolventen Bettgeher fruchtlos präsentierte. Er zerrieb die Asche wie ein Kind Kot schmiert, verstreute sie im Zimmer der ordnungswütigen alten Jungfer, auf rosa Läufer, Kännchen, Nippes, auf braungedörrte Pietäts fotos in Birkenholzrähmchen. Er fing und zerquetschte Fliegen auf den peinlich reinen Fenstern. Die ratlos erboste Tante prügelte ihn. Er ließ es schielend über sich ergehen und fing weder an. So ging Das durch Dezennien. Die Frau htt ahnungslos an Magenkrebs seit Jahren, ge stand sich nur Kohken ein. Die kamen regelmäßig nach der Schlacht mit Sandor, wo er geschlagen wurde wie weiland die Südarmee der Frau Zita Habsburg. Die Tante war schon halb blind, auch Geruch und Geschmack heßen nach. Das wurde ihr Untergang. Denn der mittags verdroschene Sandor stahl kurz drauf ihre Dessertäpfel für den Abend, bekam es dann mit der Angst und der Bosheit zugleich (sein gewöhn licher Zustand) und unterschob ihr, als Kellner dienend, vor dem Schlafengehn Paradeiser und Knoblauch. Erst als ihr die Zunge wie Feuer brannte, merkte die Frau den Fraß. Das war freilich noch lange kein zureichendes Gift, doch ihr schien es, als habe sie jetzt den Dreck verzehrt, den der Neffe jahrelang ihren Möbeln, Fenstern und Andenken antat. Da spürte sie zum erstenmal und zu spät den Krebs, schwarz stieß es ihr auf, es hob sie, schwarze Gallerte stieg bis in den Gaumen; alle Dezennien des stets umsonst geputzten Schmutzes von Neffe und Mietern, der hundertmal geschlagen immer wieder da war. Der röstende