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Schauer. Daher wird ihm wichtig, was Schauspielerei bedeutet, nicht als Inter pretation von Hollen, sondern als die Frage: bestimmtes Lehen mit Anfang, Peripetie und Ende wie beim Schauspieler, der spielt, oder unbestimmtes, zerfließendes Leben wie heim Zuschauer. Für dieses Problem: daß der nicht lebende, sondern nur hinlebende Zuschauer ins Theater geht, um das Leben zu sehen, wie es ist, — für dieses Problem gibt • Pirandello die variierten Beispiele in seinen Stücken, nichts als das. Er dramati siert keine interessanten Fälle und Gescheh nisse, eins ums andere, um am Schluß einige Dutzend so Stücke geschrieben zu haben, die man anschaut und heimgeht. Er hebt das Drama mit der Maschinerie des Thea ters auf. Und tut das an einem schwindel erregenden Abgrund. Wer zu stürzen fürch tet, unterhält sich über ein zu änderndes lvleid. Die Marseillaise In einem Kino wird ein Film gespielt, der die französische Revolution zur Fabel hat. Dazu gibts an einer Stelle im Orchester selbstverständlich die Marseillaise. Niemand ärgerte sich darüber. Die dümmste Berliner Tageszeitung mußte sich erst darüber er bosen, daß „dieses Saulied'“ gespielt wird, um einige Dummköpfe jeweils zum Aus druck ihrer patriotischen Gesinnung durch Pfeifen zu veranlassen. Seit 3 Jahren spielt das Theatre des Champs-Elysees in Paris fast nur "Wagner. Der Temps vom i5. Ok tober 192/1 schrieb vier Spalten über das Gastspiel des Haager Nationaltheaters, das Tristan und die Walküre vorführte. Man habe, so steht da, mit großen Erwartungen einer Renaissance der französischen drama tischen Musik entgegengesehn, et voici qu’ au debut de cette periode de renaissance se redressent plus obsedants les geants de l’epopee symphonique de Wagner. Us n’ont rien perdu de leur puissance inflexible, ni de leur delire. Von dem w iederholten Hören der M erke Wagners erhofft das wie bekannt gar nicht deutschfreundliche Blatt einen erzieherischen Einfluß auf das Publikum. „Wohnt man den Darstellungen Wagner scher Werke bei, so hat man den Einruck, die hohe Messe des germanischen Genius zu vernehmen.“ Der durchschnittlicheDeut- sche ist so harmlos wie jeder Mensch in der Welt, nur das Fehlen jedes politischen In stinktes zeichnet ihn vor den ändern Erd bewohnern aus. Es bedarf immer erst irgendeiner Zeitungsnotiz, ihn zum politi schen Überschnappen zu bringen. Er hat keine persönliche Freiheit des Urteils, die er der Preßfreiheit gegenüberstellen könnte. So legt ihn die Preßfreiheit in Ketten, ohne daß er es merkt. l^reiköni^slAy (Le Merle blanc) Der Franzose: „Wie schade, daß ich nidit audi einen König zum Bevormunden habe"