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zu haben. Sie hätte sich nicht verheiratet, behauptete sie; denn wenn sie auch zu Be ginn ihrer Verlobung so etwas wie Liebe für Jacques empfunden habe, so habe die durch den Krieg verursachte Länge dieser Ver lobung die Liebe ihres Herzens nach und nach ausgelöscht. Sie liebte Jacques bereits nicht mehr, als sie ihn heiratete. Sie hoffte, daß Jacques vierzehntägiger Urlaub ihre Empfindungen vielleicht wandle. Er war ungeschickt. Der Mensch, der liebt, fällt dem Menschen, der nicht liebt, immer auf die Nerven, l ud Jacques lieble sie immer mehr. Seine Briefe waren die eines Leidenden, aber er stellte Martha zu hoch, um sie eines Verrates für fähig zu halten. Daher klagte er nur sich an und bat sie, sie möchte ihm doch wenigstens er klären, was für ein Leid er ihr habe zu fügen können: .„Ich fühle mich so unge schlacht an deiner Seite, ich fühle, daß jedes meiner Worte dich verletzt." Martha ant wortete ihm nur, daß er sich täusche und sie ihm nichts vorwerfe. Mir hatten damals Anfang März. Der Frühling kam zu früh. An den Tagen, an denen Martha mich nicht nach Paris be gleitete, wartete sie nackt unter einem Mor genrock, bis ich aus meinem Zeichenunter richt zurückkam; sie lag vor dem Kamin, in dem immer noch Olivenholz von ihren Schwiegereltern brannte. Sie hatte sie ge beten. ihren Vorrat zu erneuern. Ich weiß nicht, welche Schüchternheit mich zurück hielt — vielleicht die, die man angesichts dessen empfindet, was man noch nie getan hat. Ich dachte an Daphnis. Hier hatte C.hloe einige Lehren empfangen, und Daph nis wagte nicht, sie darum zu bitten, sie an ihn weiterzugehen. Denn in der Tat be trachtete ich Martha als eine Jungfrau, die in den ersten vierzehn Tagen ihrer Ehe einem L nbekannten ausgeliefert gewesen war, der sie mehrmals mit Gewalt genom men hatte. Abends allein in meinem Belt rief ich nach Martha; ich war mir böse, daß ich, der ich mich für einen Mann hielt, nicht Manns genug sei, um sie schließlich zu meiner Geliebten zu machen. An jedem Tag an dem ich zu ihr ging nahm ich mir vor, sie nicht zu verlassen, ehe sie es geworden wäre. An meinem sechzehnten Geburtstag im März 1918 schenkte sie mir einen Morgen rock, der dem ihren in der Farbe glich und den ich bei ihr immer anziehen sollte; sie bat mich dabei, ja nicht böse zu sein. Mir schien, daß das, was bisher meine Begierde eingedämmt halte, nur die Furcht vor dem Lächerlichen gewesen sei, mich angezogen zu fühlen, während sie es nicht wahr. Dann errötete ich, denn ich begriff, daß ihr Ge schenk Vorwürfe enthielt. Vom Beginn unserer Liehe an hatte mir Martha einen Schlüssel zu ihrer Wohnung gegeben, damit ich nicht im Garten auf sie zu warten brauchte, falls sie einmal zu fällig in der Stadt wäre. Ich konnte mich des Schlüssels auch auf weniger unschuldige Art bedienen. Es war an einem Sonnabend. Ich verabschiedete mich von Martha mit dem A ersprechen, am nächsten Tage mit ihr zu Abend zu essen. Aber ich war ent schlossen, schon am Abend so früh wie möglich zurückzukehren. Beim Abendessen teilte ich meinen El tern mit, daß ich am nächsten Tage mit ltene einen langen Spaziergang im W aide vonSenart unternehmen wollte. Dazu müßte ich um fünf Uhr morgens aufbrechen. Da alles im Hause um diese Stunde noch schla fen würde, so konnte niemand wissen, wann ich aufgebrochen wäre und oh ich zu Hause geschlafen hätte. Kaum hatte ich meiner Mutter diesen Plan mitgeteilt, als sie auch schon einen Korb mit Proviant richten wollte. Ich war bestürzt; dieser Korb zerstörte alle Roman tik und alles Erhabene meiner Tat. Ich ge noß bereits im -voraus Marthas Erschrecken, wenn ich ihr Zimmer betreten würde — und mußte jetzt an ihr Gelächter denken, wenn der Märchenprinz mit einem Freßkorb auf tauchte! Ich mochte meiner Mutter immer sagen, daß Bene mit allem versehen sei *— sie wollte nichts davon wissen. Und wei teren \\ iderstand leisten hätte \ erdacht er regt.