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DEN TEUFEL IM LEIB Itoman von Raymond Radiguet 3 . Fortsetzung Autorisierte Übertragung von Hans Jacob Sic schüttelte den Kopf: „Bevor du kamst, war ich glücklich. Ich glaubte meinen V erlobten zu liehen. Ich verzieh ihm, daß er mich nicht recht verstand. Du hast mir gezeigt, daß ich ihn nicht liebte. -Meine Pflicht ist nicht so, wie du sie dir vorstellst. Sie bestellt darin, meinen Mann nicht zu heiligen und dich nicht zu belügen. Geh fort und halt’ mich nicht für bös- artig. I)u wirst mich bald vergessen haben. Aber ich will nicht das Unglück deines Lehens sein. Ich weine, weil ich zu alt für dich hin!“ Dieses Liehcswort war von kindischer Er habenheit. Und wie stark auch die Er schütterungen sein mögen, die ich in der Folge verspüren werde, niemals wieder wird die herrliche Rührung möglich sein, die ich empfand, als ich ein neunzehnjähriges Mäd chen weinen sah, weil sie zu alt sei. Die Süße des ersten Kusses hatte mich enttäuscht wie eine Frucht, von der man zum ersten Male kostet. Nicht in der Neu heit, in der Gewohnheit finden wir die größte Lust. Einige Minuten später war ich nicht nur an Marthas Mund gewöhnt, son dern ich konnte ihn schon nicht mehr ent behren. Und da wollte sie mich seiner für immer berauben! An diesem Abend brachte mich Martha bis nach Hause. Um mich ihr näher zu Hilden, schmiegte ich mich unter ihren Um hang und faßte sic um die Hüften. Sic sprach nicht mehr davon, daß wir uns nicht Wiedersehen sollten: sie war im Gegenteil traurig hei dem Gedanken, daß wir uns in einigen Augenblicken trennen würden. Ich mußte ihr tausend Torheiten schwören. Vor dem Hause meiner Eltern wollte ich Martha nicht allein umkehrcn lassen, und ich begleitete sie wieder nach Hause. Zwei fellos hätten diese Kindereien niemals ein Ende gefunden, denn nun wollte mich Maitha abermals begleiten. Ich nahm unter der Bedingung an, daß wir uns in der Mitte des Weges trennten. Ich kam eine halbe Stunde zum Essen zu spät. Zum ersten Male. Ich schob die Verspätung auf den Zug. Mein Vater tat, als glaube er die Ausrede. Nichts mehr lastete auf mir. Auf der Straße ging ich ebenso leicht wie in meinen Träumen. Bisher hatte ich alles, was ich als Kind begehrt hatte, begraben müssen. Außerdem verdarb Dankbarkeit die geschenkten Spiel sachen. V\ eichen Glanz hätte für ein Kind ein Spielzeug, das sich von selbst schenkt! Ich war trunken vor Leidenschaft. Martha gehörte mir: nicht ich, sie hatte es gesagt. Ich konnte ihr Antlitz berühren, ihre Augen küssen, ihre Arme, sie ankleiden und sie zerstören, wie es mir beliebte. In meinem Delirium biß ich sie, wo die Haut-unbedeckt war, damit ihre Mutter den Verdacht be käme, Martha hätte einen Liebhaber. Am liebsten hätte ich meine Initialien ein- geprägl. Meine Jungenwildheit fand den Sinn der Tätowierungen wieder. Martha sagte: „Ja, heiß mich, kennzeichne mich, alle Welt soll es wissen.“ Ich hätte ihre Brüste küssen mögen. Ich wagte nicht, sie darum zu bitten, in der Meinung, sie würde sie mir selbst darbieten wie ihre Lippen. Nach einigen Tagen war der Besitz ihrer Lippen zur Gewohnheit ge worden, und ich begehrte ein anderes Ent zücken. \\ ir lasen zusammen beim Schimmer des Feuers. Häufig verbrannte sie Briefe, die ihr ihr Mann täglich aus dem Felde sandte. Aus ihrer Unruhe konnte man schließen, daß Marthas Briefe immer weniger zärtlich und immer seltener wurden. Ich sah diese Briefe nicht ohne Unbehagen in Flammen aufgehen. Eine Sekunde lang vergrößerten sie das Feuer, und alles in allem hatte ich Angst, heller zu sehen. Martha, die mich jetzt häufig fragte, ob es wahr sei, daß ich sie von unserer ersten Begegnung an geliebt hätte, warf mir vor, ihr das nicht vor ihrer Verheiratung gesagt 50