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BALL BEI FLECHTHEIM Seit dem letzten im vorigen Jahr, welcher der erste war — die letzten werden die ersten sein —, ist der Ball bei Flechtheim die scharmanteste Be gebenheit des Berliner Faschings. Eine der wenigen berlinischen Angelegen heiten, die keine müßigen Zuschauer, sondern nur lebhafte Teilnehmer ken nen. Keiner von jenen ist da, die nur da sind, um sich zu repräsentieren. Keinerlei wattierte Würde. Bis auf Herrn von Stülpnagel kein eisernes Kreuz, und auf seiner breiten Brust liegt’s, weil es ihr gut steht und das zu viele Schwarz des Fracks über dem mächtigen Thorax angenehm schat tiert. In diesem Jahre hat man die großen Räume Herrn Altmanns, des gelehrten Antiquars, mit der Galerie vereinigt; aber auch dieser Einfall er wies sich als zu eng für die vielen Ge ladenen. Flechtheim lädt nur Freunde und gute Bekannte ein. Und Wilhelm an der Eingangspforte ist unbestech lich abweisend gegen alle, die nicht ge laden sind. Man kann die Beliebtheit des Hausherrn an der Zahl der Gäste ermessen. Aber er müßte jetzt stoppen und jeder Versuchung gegenüber er klären: ,,Ich habe für dieses Jahr schon Freunde genug. Vielleicht ver größere ich im nächsten Jahr“. Als sicher ist anzunehmen, daß er es Freun dinnen gegenüber nicht so genau hält. Es würde mehr als ein Mannesleben verlangen, daß er alle die anwesenden entzückenden Damen näher oder über haupt kenne. Vieles hat man Alfred schon nachgesagt, nie aber, daß er ein Don Juan sei oder solche Am bition habe. Im Gegenteil. Der Maler Herr Rudolf Levy, Meister der stillen Leben, hatte den guten Ein fall, an die Wände des Tanzsaales die siebenundzwanzig schönen Tafeln des alten Giotto zu hängen, die sonst in H. Flechtheims Kellern ruhen. Die hawaische Jazzband gab den Bildern eine bestrickende Lebendigkeit, deren Anblick Tränen in die Augen des Groß kaufmanns Benussio trieb, des be rühmten Mäcenas. Ihm ist es, wie man weiß, zu danken, daß die Holzplastiker des 13. und 14. Jahrhunderts während der Inflationszeit nicht verhungert sind. Es tanzte sich famos in dem Giotto- Saal. Vielleicht weil die elf hübschesten anglo-amerikanischen Mädeln, die au genblicklich die Berliner Revuen be leben, den Schwung gaben. Punkt zwölf Uhr feierten vier von ihnen ihren sechzehnten Geburtstag, was Anlaß zu den variiertesten Glückwünschen und improvisiertesten Geschenken gab. Eines der Geburtstagskinder bekam einen kleinen Utrillo, was aber weder Name für eine Art Kind noch für einen Schreikrampf ist, sondern einen spa nischen Maler bedeutet, der in Paris lebt und Ansichtspostkarten vorzüglich in Öl kopiert. Wer nicht gerade tanzte, brauchte nicht müßig gehen. Das Büfett — nur Herr Paul Cassirer errichtete 1923 bei seinem Feste einen solchen Gargantua eß- und trinkbarer Dinge — stellte ihm höchst komplexe Aufgaben, an 38