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könnten zum_ Beispiel für die Frau die geschlechtliche Freiheit verlangen. Denn dies ist eine der wichtigsten Freiheiten, über seinen Leib verfügen zu können. Der Gebrauch, den man von dieser Freiheit macht, der richtet sich dann ein nach Neigung und Fähig keit. Und tritt die Liebe dazu, so hat die ja ihre eigne Logik. Immer noch identifiziert man aber die Liebe mit der Ehe. Spricht von Liebesheiraten. Selten sind es die guten. Denn die Ehe kann die Liebe entbehren. Die Liebe, das ist beständiges Wählen. Sie setzt ständige Freiheit voraus, denn ohne Freiheit keine Wahl. Man muß jederzeit brechen und aufbrechen können. So trifft man die Liebe immer eher auf den irregulären Wegen. Der Ehebruch der Frau ist in den heutigen Zivilisationen ebenso gewöhnliche Be dingung, wie die sexuelle Freiheit des Mannes. Ehebruch, Lüge, Betrug müssen unter die Gesetze der Liebe eingereiht werden. Die Ursache läßt sich ahnen. Sie wird darin liegen, daß die Liebe als bloßes Gefühl, losgelöst von der physischen Vereinigung, eine Schöpfung des Mannes ist. Ein Spiel, das er wie andere Spiele in seinen mü ßigen Stunden erfunden hat. Nun setzte sich aber dieses nach der natür lichen Konstitution des Paares erfun dene Spiel natumotwendig in Wider spruch zu der vorher etablierten Paa rung. Und so erwies sich die Liebe von ihrem ersten Stammeln ab als ein Element der sozialen Auflösung, und das ist sie gebheben. Die Liebe hat immer die Tendenz, die Paare zu zer stören. Sie ist, unbekümmert um Rang, Sitte, Brauch, Interesse an Nach kommenschaft, absolut anarchistisch. Sie will ihr Gesetz nur von sich selber empfangen. Und nichts ist stärker gegen die Ordnung, die ein ständiges Opfer persönlicher Empfindungen ver langt. Diese Bedrohung der Ordnung durch die Liebe war im neunzehnten Jahrhundert erst erkannt worden, wo man, jetzt erst, die Ehe auf die Liebe gründete. Früher waren die Menschen so klug, nicht ein so auflösendes Ele ment wie die Liebe in eine so organische Institution wie die Ehe zu bringen. Als dies geschehen war, da erst gab es den aus der Ehe gebomen tragi schen Ehebruch. Er war bis ins acht zehnte Jahrhundert hinein nur komisch, weil keine Ehe auf der Liebe begrün det war. Und wo keine Liebe, da kein Verbrechen. Der Marquis Du- chätelet ging nicht nach Cirey, um Voltaire zu erdolchen, weil dieser mit der Marquise ein Verhältnis hatte. Die tragische Liebe: sie begann mit dem Werther. Und dann ging’s so weiter bis zu dem barbarischen Ruf des jün- gem Dumas: „Töte sie!“ — die Ehe brecherin nämlich, und alle Dilettanten des Lebens schossen ihre Frauen nie der, weil sie einen ändern liebten. Es gäbe Aufgaben für die parla mentarischen Frauen, wenn sie Frauen wären und nicht nachgemachte Män ner. Sie könnten die Atmosphäre schaffen, die zu einer ändern Einstellung auf diese wichtigen Angelegenheiten führen, die die Liebe betreffen. Und die Ehe. L T nd die alternden Mädchen, die ein Leben lang eingesperrt in Kon ventionen hinbringen und verkümmern, um vor dem Ende verzweifelt nach einem bittem Glück zu greifen. 25