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Künstlerin auf der Bühne zu ar beiten,nurzusehr verständlich. Letztgesagtes gilt auch für Wien und Berlin. Die Künstlerin wirkt als lebendige Re klame aller Mode experimente, um somehr , als es eine sogenannte Büh nenmode alias „Theaterfähn- chen“schon lange nicht mehr gibt, i Trotzdem eignet sich die Bühne außerordentlich gut ' dazu, Seiten sprünge einer Mode zu veranschauli chen, ohne sozusagen die Empörung der konservativeren Volksschichten hervorzurufen; man wird mit den Extravaganzen einer Mode vertraut, ohne dazu gezwungen zu sein, Stellung zu ihr zu nehmen; und wie überall wirkt auch hier die unpersönliche Ob jektivität für die neuen Extreme einer Mode; man läßt sich die neuen Per spektiven des weiblichen Körpers — und um etwas anderes handelt es sich ja in der jeweiligen neuen Mode nie mals — viel leichter von einer schönen Künstlerin einreden als vom Schneider, obwohl auch er, wenigstens jeder in Betracht kommende in seinem Palais mit dieser Tatsache vertraut, sich eine stimmungsvolle kleineBülme mit pracht vollem Hintergrund eingerichtet hat. Man macht allerdings die ex tremste Mode heute mit, und nichts ist bezeichnender für unsere Zeit, als die Märchenprinzessinnenkleider im Restaurant oder im Nachtlokal an der bürgerlichsten Frau. Man tut mit, die Konkurrenz auf der Bühne läßt man sich nicht mehr gefallen, und die glitzernden Prinzessinnenkleider kön nen einem manchmal leid tun, sehr leid. Doch sollte das ja ein Mode bericht werden, deshalb Doppelpunkt: Die Neigung, die übermäßige Rock enge durch eingesetzte Godets oder Rundvolants, die allerdings bis jetzt nur eine falsche Weite heuchelten, zu mildern, scheint nun realere Dimen sionen annehmen zu wollen. Die neuen Ballkleider mit dem wirklichen Glolc- kenvolant, der, unter dem Knie an gesetzt, den Beinen einige Freiheit gibt, dürften richtunggebend sein, denn auch die neuen Vormittagskleider mit ihren langen Knopfreihen vorn und rückwärts und womöglich auch an der Seite, haben im Rücken zumeist eine tief eingelegte Falte, die die gerade Linie bis zum Rocksaum gewährleistet und nicht nur bis zu den Hüften. Die Robe matin unterstreicht nach wie vor den knabenhaften Umriß der Frau, welchen aufzulösen die Aufgabe des Abendkleides ist. Doch bleibt die Frau trotz alledem ein Bub, und auch die Stilkleider einer Lanvin mit den mon strösesten Weiten dienen nur dazu, einen zarten knabenhaften Körper noch zarter erscheinen zu lassen. Die Weite bauscht sich erst von den Hüften an, und man darf solche gerade da nicht haben, da sonst das graziöse Puppenspiel, daß das Tragen dieser wiegenden Stilroben vorstellt, zur Farce wird.